Über 2000 Menschen hierzulande warten auf ein Spenderorgan. Jede Woche sterben zwei Personen auf der Warteliste, weil nicht rechtzeitig ein neues Herz, eine neue Niere oder eine neue Leber verfügbar war.
Laut Umfragen befürworten vier Fünftel der Bevölkerung die Organspende, aber nur jede zweite Person spricht mit den Angehörigen darüber, ob er oder sie im Todesfall tatsächlich spenden würde. Eine Mehrheit der Angehörigen – über 60 Prozent – lehnt es im konkreten Fall ab, die Organe des oder der Verstorbenen zur Spende freizugeben.
Das soll sich nun ändern: mit einem Systemwechsel zur «Widerspruchslösung». Voraussichtlich noch dieses Jahr kommt die Vorlage ins Parlament.
Hier die fünf wichtigsten Fragen und Antworten.
- Welche Modelle gibt es, um die Organspende zu regeln?
In der Schweiz dürfen einer verstorbenen Person nur dann Organe, Gewebe oder Zellen entnommen werden, wenn sie sich vor ihrem Tod einverstanden erklärte. Wenn nicht bekannt ist, was der Verstorbene wollte, müssen die Angehörigen stellvertretend entscheiden. Dieses Modell heisst «erweiterte explizite Zustimmungslösung», festgehalten im Transplantationsgesetz.
Die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» will weg von der Zustimmungslösung und stattdessen die sogenannte «Widerspruchslösung» in der Verfassung verankern.
Damit würde jeder, der nicht zu Lebzeiten seine Ablehnung schriftlich festhält, zum Spender. Fehlt ein solches Dokument, gilt dies als Zustimmung. Der Bundesrat befürwortet die Widerspruchslösung, will aber in einem indirekten Gegenvorschlag auch den Angehörigen ermöglichen, Nein zu sagen («erweiterte Widerspruchslösung»).
Ein drittes Modell schlägt die Nationale Ethikkommission (NEK) vor: Der Staat soll alle Personen regelmässig dazu auffordern, sich zur Organspende zu äussern, etwa bei der Erneuerung der ID oder des Fahrausweises. Dieses Modell heisst «Erklärungslösung».
- Ist ein Systemwechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung nötig?
Fachärzte und die Initianten argumentieren, die Zustimmungslösung funktioniere nicht: Trotz grosser Anstrengungen (zum Beispiel der Organisation Swisstransplant) habe man einen Grossteil der Bevölkerung nicht dazu bewegen können, sich mit der Organspende zu befassen.
Die Widerspruchslösung setze aufs Individuum den «nötigen Druck» auf, klar Stellung zu nehmen – ob Ja oder Nein. So liessen sich 100 Menschenleben jährlich retten.
Kritische Stimmen sind skeptisch, ob mit dem Systemwechsel mehr Organspenderinnen und -spender gewonnen werden könnten. Erfahrungen aus Ländern, die dieses Modell eingeführt haben, zeigten ein durchzogenes Bild. In der Schweiz, so die Kritiker, könnte der staatliche Druck, sich zur Organspende zu äussern, die Spendebereitschaft sogar dämpfen. Man setze damit ein bewährtes System aufs Spiel.
- Die Widerspruchslösung geht von einer «vermuteten Zustimmung» aus – zu Recht?
80 Prozent der Bevölkerung, so die Initiative, wären bereit, Organe zu spenden. Dass im konkreten Fall viel weniger oft gespendet wird, liege daran, dass dieser Entscheid nicht dokumentiert sei.
Tatsächlich haben nur 16 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer einen Organspendeausweis, und nur 1 Prozent hat sich bisher ins nationale Organspende-Register eingetragen.
Für Kritikerinnen und Kritiker ist es unzulässig, Schweigen mit Zustimmung gleichzusetzen. Denn: Nur eine Minderheit – rund ein Viertel – der Bevölkerung setzt sich eingehend mit der Organspende auseinander.
Die grosse Mehrheit tut dies eher nicht und geht dem Thema aus dem Weg. Das zeigen die Zahlen der schweizerischen Gesundheitsbefragung.
- Ist der Systemwechsel ethisch vertretbar?
Die Initianten führen ins Feld, die Widerspruchslösung sei in vielen Ländern erfolgreich eingeführt und «für das Leben»: Vier von fünf Personen hierzulande seien im Prinzip spendebereit, nur würden sie es – aus welchen Gründen auch immer – verpassen, ihr Ja zu dokumentieren.
Aber auch ein Nein sei jederzeit möglich. Im Vorschlag des Bundesrats hätten ausserdem auch die Angehörigen die Möglichkeit, der Organentnahme zu widersprechen.
Kritiker geben zu bedenken, ein Nein wäre unter der Widerspruchslösung deutlich schwieriger. Das Modell würde dazu führen, dass Menschen unfreiwillig zu Organspendern würden, weil sie sich nie mit dem Thema befassten.
Oder weil sie nicht wussten, wo und wie man ein Nein hinterlegen kann. Und weil den Angehörigen zugemutet würde, ihr Nein in einer sehr schwierigen Situation auszusprechen. Viele Kritikerinnen bevorzugen die von der NEK vorgeschlagene Erklärungslösung.
- Wie soll die Widerspruchslösung politisch durchgesetzt werden?
Die Initiative «Organspende fördern – Leben retten» will die Widerspruchslösung in der Verfassung verankern. Der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats möchte den Systemwechsel herbeiführen, indem das Transplantationsgesetz revidiert wird. Dies könnte das Parlament beschliessen. In der Vernehmlassung befürwortete eine Mehrheit der Befragten den bundesrätlichen Gegenvorschlag.
Kritiker der Initiative wie auch des Gegenvorschlags bemängeln, der Systemwechsel ritze verfassungsrechtliche Grundsätze. Etwas so Folgenschweres wie die Frage, unter welchen Voraussetzungen Organe entnommen werden dürfen, lasse sich nicht mit einer einfachen Gesetzesänderung durchsetzen. Es brauche dazu zwingend eine Volksabstimmung.