Soll die Widerspruchslösung in der Schweiz eingeführt werden oder nicht? Nachdem am Donnerstag in Deutschland der Vorschlag abgelehnt wurde, wird das Thema auch in der Schweiz wieder diskutiert. Mit der Widerspruchslösung wird jeder Mensch nach seinem Tod automatisch Organspender – ausser er oder sie hat sich zu Lebzeiten explizit dagegen ausgesprochen. Für Ethikerin Baumann-Hölzle wäre mit der Regelung eine Grenze überschritten.
SRF News: Was macht dieses Thema derart brisant und emotional?
Ruth Baumann-Hölzle: Die Organspende betrifft die Tabuthemen Sterben und Tod, die uns Menschen letztlich sehr stark beschäftigen. Zudem stellt sich die Frage, wie der Staat den Umgang mit Sterben und Tod überhaupt regeln soll.
Dass ein lebender Mensch das Recht auf Unversehrtheit des Körpers hat, ist unbestritten. Wie sieht es aus ethischer Sicht aus, wenn jemand tot ist?
Auch Menschen, bei denen keine Zweifel darüber bestehen, dass sie Tod sind, haben gewisse Schutzrechte – man darf beispielsweise keine Leichen schänden. Auch die Eigentumsrechte dürfen nach dem Tod nicht beschnitten werden.
Das wäre in etwa so, wie wenn der Staat nach meinem Tod mein Haus übernehmen könnte und vor meinem Tod die Räumung vorbereiten würde.
Der Hirntod ist das zentrale Kriterium für die Organentnahme. Nur gibt es Organentnahme-Methoden, die voraussetzen, dass man bereits beim noch nicht hirntoten Menschen gewisse vorbereitende Massnahmen ergreifen muss; also quasi beim nicht urteilsfähigen Menschen auf der Intensivstation.
Hilft man mit der Organspende nicht todkranken Menschen?
Man muss sich die Frage stellen, ob die Person, welcher man die Organe entnimmt, im letzten Sinne tot ist. Ihre Organe sind es noch nicht, sonst würde man sie nicht für eine Organentnahme brauchen um sie nachher weiter verpflanzen zu können. Der andere Punkt ist, dass wir bereits heute viele Menschenleben retten könnten, wenn wir die Grenze überschreiten würden: Wir könnten Menschen zur Blutspende zu zwingen oder Menschen dazu zwingen, Stammzellen entnehmen zu lassen.
Die Widerspruchslösung ist momentan hoch im Kurs. Sie sehen das Ganze aber sehr kritisch. Wieso?
Problematisch wird es bei Menschen, die nicht urteilsfähig sind - dass manchen Menschen mit einer geistigen Behinderung einfach Organe entnommen werden, ohne dass sie sich dazu äussern konnten. Zudem gibt es Menschen, die sich aus anderen Gründen nicht mit der Frage der Organentnahme beschäftigen können. Die Widerspruchslösung stellt ein Paradigmenwechsel dar, weil der Staat plötzlich Anspruch auf die Organe von Menschen erhebt. Etwas, was zum höchstpersönlichen Recht des einzelnen Menschen gehört, wird vom Staat in Anspruch genommen, es sei denn, ich erhebe Widerspruch. Das wäre in etwa so, wie wenn der Staat nach meinem Tod mein Haus übernehmen könnte und vor meinem Tod die Räumung vorbereiten würde.
Es ist aber nicht der Staat, der Anspruch auf meine Organe hat, sondern schlussendlich kranke Menschen, die durch meine Organe weiterleben können...
Es gibt keinen Anspruch auf Organe von anderen Menschen. Letztendlich ist es trotzdem der Staat, der das Verhältnis der Menschen untereinander regeln muss.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.