Zum Inhalt springen

Der berühmteste Club der Welt Fürs Berghain steht seit 20 Jahren die ganze Welt Schlange

Verschwiegene Betreiber, harte Türpolitik, ungehemmter Sex und tagelange Partys: Wofür steht Berlins Technotempel heute?

Das Berghain in Worte und Bilder zu packen – daran sind schon viele gescheitert. Nun wird Berlins berühmtester Technoclub 20 Jahre alt. Warum gibt es bis heute kein konkretes Bild des Clubs in der Aussenwelt? Ganz offensichtlich ist: Die Betreiber haben kein Interesse daran.

«Diese Geheimhaltung wird als Marketingstrategie genutzt», erklärt Kulturwissenschaftler Guillaume Robin. «In einer Zeit der Hypervisibilität, in der nahezu jeder in den sozialen Netzwerken präsent ist, bietet das Berghain einen Raum, der dieser Sichtbarkeit entzogen ist.»

Mann mit Sonnenbrille und Tätowierungen an einer Wand.
Legende: Wer ist cool genug für Sven Marquardt? Der taffe Türsteher vom Berghain wurde mit seiner strikten Einlasspolitik zum Markenzeichen des Clubs – er ist zudem die einzige Person aus dem Berghain-Kosmos, die gelegentlich an die Öffentlichkeit tritt. EPA/CLEMENS BILAN

Eine No-Photo-Kultur im Club und eine Presse-nein-Danke-Haltung schützen die Privatsphäre der Gäste. Türsteher, wie der weltberühmte Sven Marquardt, selektieren erbarmungslos das Publikum. So wurden auch Stars wie Britney Spears oder Macklemore abgewiesen. «Dieser Kult des Geheimnisses ermöglicht eine unmittelbare Immersion in das Cluberlebnis, wie es nur wenige andere Clubs in Berlin bieten», sagt Robin.

Lust, Leder, Latex

Betritt man das Berghain, verliert man sich in verwinkelten Gängen. Man passiert abgetrennte Räume, sogenannte Darkrooms, wo sexuellen Praktiken keine Grenzen gesetzt sind. Irgendwann gelangt man auf den Haupt-Technofloor – eine sinnliche Erfahrung der Superlative. Die 18 Meter hohen Säulen erinnern an das ehemalige Heizkraftwerk zurück. Viele vergleichen den fensterlosen Raum mit einem Tempel. Da ist natürlich etwas dran. Nebeldunst. Laserlicht bewegt sich rhythmisch durch die Dunkelheit. Die Bässe graben sich in den Körper ein.

Menschen stehen in einer Schlange vor einem grossen Gebäude.
Legende: Hier ist vor allem Geduld gefragt, denn die Warteschlange vor dem Berghain kann sich über Stunden ziehen. Einmal drinnen, kann man immerhin tagelang durchfeiern. IMAGO / Votos-Roland Owsnitzki

«Man kann für einen Moment der Realität entfliehen», sagt Robin, «aber diese Freiheit gibt es nicht ohne Selbstdisziplin im Publikum.» Auch Stammgäste, die ihren Drogenkonsum nicht unter Kontrolle kriegten, würden regelmässig des Clubs verwiesen.

Bis zu 1500 Menschen haben im Berghain Platz. Piercings und Tattoos verzieren die Körper. Sie sind nackt, in Leder gesteckt, mit Latex verdeckt, in Schwarz gehüllt. Die Körper stampfen, kreisen, schütteln, lecken und streicheln sich.

Wieso heisst der Club Berghain?

Box aufklappen Box zuklappen
Luftaufnahme eines grossen Gebäudekomplexes in einer städtischen Umgebung.
Legende: Umringt von Wohnhäusern und Industriegebäuden steht er: der Technotempel in Berlin. IMAGO / Marius Schwarz

Das Berghain befindet sich zwischen den Berliner Stadtvierteln Friedrichshain und Kreuzberg. Der Name des Technoclubs setzt sich aus den Wörtern «Berg», aus Kreuzberg und «Hain», aus Friedrichshain zusammen.

Robin spricht von einem «subkulturellen Kapital», über das vor allem die Stammgäste verfügen. Verhaltenskodex in der Schlange, Dresscode, Kenntnisse des Line-ups und der DJs unterliegen einem bestimmten Wissen. «Die Exklusivität basiert auf dem Prinzip, dass man die Erfahrung nicht einfach kaufen kann.»

Feiern für die Eliten?

Zugleich kostet der Eintritt mittlerweile 25 Euro. Bei der Jubiläums-Klubnacht geht Robin von rund 60 Euro aus. Dafür werden über 70 DJ-Acts geboten. Aber: «Es ist ein Treffpunkt für Personen aus der gehobenen Mittelschicht geworden», sagt Robin. Aufgrund der steigenden Preise sei das Publikum immer weniger divers geworden.

Person mit falschem Schnurrbart auf rotem Teppich mit Plakaten im Hintergrund.
Legende: Club goes Kommerz? Ein Teil des Berghains kann auch für Events gebucht werden – so hat Popstar Lady Gaga 2013 ihr Album «Artpop» in dem Technoclub promotet. AP Photo/Markus Schreiber

Das Berghain entstand als Nachfolger des Ostguts, damals richteten sich viele Klubnächte noch an schwule Männer. Heute überwiege ein heterosexuelles Publikum. «Die ursprünglich schwule Identität des Berghains ist zugunsten einer eher diffusen und vielfältigen Identität in den Hintergrund getreten», sagt Robin.

Während im kommenden Jahr Berliner Clubinstitutionen wie das Watergate und die Wilde Renate schliessen müssen, steht das Berghain für Kontinuität. 2011 erwarben die Besitzer das Gebäude. Robin geht davon aus, dass sich das Berghain seine Identität bewahren kann. Sorge bereite ihm die Zusammensetzung des Publikums: Frauen, schwarze Menschen und die mit wenig Geld seien weiterhin in der Minderheit.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Guillaume Robin: «Berghain, Techno und die Körperfabrik. Ethnographie eines Stammpublikums». Büchner Verlag, 2021.

Guillaume Robin lebt in Paris und Berlin. Er arbeitet als Dozent an der Université Paris-Cité. Seine Forschung konzentriert sich auf Körpergeschichte und Anthropologie im Deutschland des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf die Ethnografie der elektronischen Musikszene Berlins.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktuell, 13.12.2024, 17:10 Uhr

Meistgelesene Artikel