Peter von Ballmoos ist ein aktiver Mensch mit vielen Hobbys: Der gelernte Gärtner und ehemalige Spitzensportler ist bis heute eng verbunden mit dem Stadtturnverein Bern, obwohl er seit vielen Jahren in der Ostschweiz lebt.
Er interessiert sich sehr für Literatur und klassische Musik, findet Kraft im christlichen Glauben und hat einen guten Kontakt zu seiner Ex-Frau und den drei gemeinsamen Söhnen. «Ich habe ein ausgezeichnetes soziales Netz», sagt der 80-Jährige von sich. «Doch manchmal überkommt mich eine tiefe Traurigkeit.»
Vor zweieinhalb Jahren starb seine zweite Frau an Demenz. Bis zu ihrem Tod hat er sie jeden Tag sechs bis acht Stunden im Pflegeheim besucht. «Die Betreuung meiner Frau war eine Lebensaufgabe, die ich sehr gerne erfüllt habe», sagt Peter von Ballmoos. Nach ihrem Tod machte sich Leere breit und er begann unter Einsamkeitsgefühlen zu leiden.
Telefongespräche geben Stabilität
Zunächst suchte Peter von Ballmoos Hilfe bei der «Dargebotenen Hand». Es habe gute Gespräche gegeben, doch er musste immer wieder von vorne anfangen, weil stets jemand anderes am Telefon war. Er erkundigte sich nach einem anderen Angebot. Die «Dargebotene Hand» verwies ihn auf «malreden».
Das ist eine kostenlose Hotline für Seniorinnen und Senioren, die seit gut einem Jahr existiert. Neben 20-minütigen Telefonaten mit wechselnden Gesprächspartnern gibt es sogenannte Tandem-Gespräche.
Peter von Ballmoos telefoniert jede Woche mit derselben Frau: «Wir sprechen eine Stunde lang, manchmal auch länger über Gott und die Welt. Diese Tandem-Gespräche geben mir Stabilität. Wer sonst hat jede Woche Zeit für mich?»
Emotionale und soziale Einsamkeit
Die Wissenschaft unterscheidet zwischen emotionaler und sozialer Einsamkeit. «Emotionale Einsamkeit tritt oft ein nach einer Verwitwung oder Scheidung», sagt Pasqualina Perrig-Chiello. Sie ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie der Uni Bern und Expertin für Altersfragen.
Anders bei der sozialen Einsamkeit: Da mangelt es generell an menschlichen Kontakten. «Ab 80 schnellt die Einsamkeitskurve in die Höhe. Der Freundeskreis wird kleiner und gesundheitliche Probleme nehmen zu», sagt Perrig-Chiello.
«Aussenkontakt gleich Null»
Lina Biedermann, gelernte Pflegefachfrau und langjährige Hauswartin, hat Probleme mit der Hand und mit dem Gehen. Seit vielen Jahren ist sie verwitwet. Die heute 84-Jährige zog, so erzählt sie, nach der Pensionierung auf Anraten eines ihrer drei Söhne von Bern nach Biel. Doch nach einem halben Jahr sei es zum Bruch mit dem Sohn gekommen – auch mit den anderen beiden habe sie keinerlei Kontakt mehr.
«Aussenkontakt gleich Null», beschreibt sie ihre Situation. Einzig die Spitex komme einmal in der Woche vorbei, und eine «liebe Frau» helfe ihr beim Einkaufen. Freunde hat sie nicht: «Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, mir fehlt das Vertrauen in die Menschen», sagt Lina Biedermann.
Einfach nur «Hallo» sagen
Doch auch sie möchte manchmal plaudern und ruft «malreden» an. Eve Bino, Initiantin und Co-Geschäftsleiterin, sagt: «Es gibt viele tolle Angebote für ältere Menschen, doch die brauchen einen grösseren Schritt. Bei uns muss man nur das Telefon in die Hand nehmen und Hallo sagen.»
Wie schwer es einem fallen kann, den ersten Schritt zu wagen, weiss auch Peter von Ballmoos: «Gegen Einsamkeit kann man etwas machen – aber man ist nicht immer motiviert. Man möchte gerne, aber kann nicht.»
Schädlich wie 15 Zigaretten pro Tag
In solchen Momenten ist «malreden» ein niederschwelliges Angebot, das rege genutzt wird: Im ersten Jahr haben Seniorinnen und Senioren die Hotline mehr als 2000-mal angerufen. Deshalb wurde das Angebot nun ausgebaut: Mittlerweile arbeiten rund 40 Ehrenamtliche – von Studierenden bis zur pensionierten Lehrkraft – für die Hotline und sind den ganzen Tag erreichbar.
Einsamkeit ist ein gesellschaftliches und ein individuelles Problem, das im Unterschied zum Alleinsein nicht freiwillig gewählt ist. Zudem ist es schlecht für die Gesundheit. Pasqualina Perrig-Chiello sagt: «Studien zeigen, dass Einsamkeit genauso schädlich ist wie der Konsum von 15 Zigaretten pro Tag. Einsamkeit senkt die Lebenserwartung und verdoppelt das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung.»
Deshalb braucht es beides: Eigeninitiative, aber auch ein gesellschaftliches Sensorium.