Der englischen Sprache sei Dank haben wir einen passenden Begriff für Büchsenravioli, mittelmässig produzierte Fernsehserien oder banale Blödel-Games. Das Verpönte und dennoch Geliebte: das «guilty pleasure». Übersetzt bedeutet es so viel wie «schuldiger Genuss».
Es ist etwas, an dem ich mich erfreue – obwohl ich weiss, dass ich es eigentlich nicht tun sollte. Wir haben bei fünf Kulturschaffenden nachgefragt, was ihre Guilty Pleasures sind.
1. Gülsha Adilji, Podcasterin und Journalistin
Andere finden: wäh, ich: yeah. Pickel-Ausdrück-Videos lassen mein Herz höherschlagen. Faszinierend, was da alles herauskommt. Mitesser-Videos sind etwas für die wahren Connaisseurs. Früher habe ich mich an meinem Cousin und seinen eingewachsenen Haaren an den Beinen ausgetobt. Unverständlich für mich, dass er nicht hinhalten wollte.
Zweitens: Ich liebe Gossip von Schweizer Cervelat-Prominenz. Ob sich Kate und William schon wieder angeblich getrennt und Miley gebotoxt hat, ist mir bisschen schnuppe.
Zu guter Letzt: Fliegen. Wir alle kennen die Sachlage, es schadet der Umwelt. Aber Reisen ist mir wichtig: die neuen Eindrücke, Gerüche und Erfahrungen. Es ist so wertvoll. Aber: Ich poste keine Insta-Bilder vom Flughafen, das ist mir zu guilty.
2. Pedro Lenz, Schriftsteller und Spoken Word Artist
Als alter Katholik habe ich schnell den Eindruck, ich hätte gesündigt. Eine meiner Sünden ist Kreuzworträtsel lösen. Eine der sinnlosesten Beschäftigungen überhaupt. Aber ich kann nicht dran vorbeigehen.
Diese Buchstabensucht! Ich muss alles lesen. Wenn da ein Prospekt für Wanderschuhe liegt, dann lese ich den, obwohl ich überhaupt keine brauche.
Manchmal habe ich auch Freude an einer Fleischplatte mit Blut- und Leberwurst. Das ist alles peinlich. Wenigstens habe ich mit dem Rauchen aufgehört.
3. Lisa Christ, Slam-Poetin und Autorin
Man sollte sich für nichts schämen, das Freude bereitet. Eigentlich. Trotzdem ist es ein bisschen peinlich, wenn ich sage: Ich liebe Candy Crush. Das Handyspiel, wo man Bonbons farbig zuordnet. Alles ist maximal bunt, Sachen explodieren, das Handy vibriert bei einem tollen Zug.
Eine visuelle und haptische Wohltat. Null Komplexität, Tonnen an Dopamin. Wann ich Candy Crush spiele? Immer, wenn ich warten muss. Oder Podcasts höre. Ich kann besser zuhören, wenn ich gleichzeitig Schläckzüg crushe. ADHS sei Dank. Einmal habe ich von Candy Crush geträumt. Das war selbst mir zu viel. Deshalb lösche ich die App immer wieder.
Dennoch: Ich bin schon bei Level 3529 angelangt. Was soll ich sagen: ein süsses Pleasure mit Suchtpotenzial!
4. Petra Ivanov, Journalistin und Schriftstellerin
Schon immer bin ich süchtig nach Katastrophenfilmen – und tauche völlig ab. Monsterflutwellen, Tornados, Erdbeben, Klimakollaps – es kann gar nicht schlimm genug zu- und hergehen.
Ich habe deswegen ein schlechtes Gewissen, weil Naturkatastrophen Menschen in der Wirklichkeit vor existenzielle Probleme stellen. Aber in der Fiktion unterhalten sie mich. Vielleicht reagiere ich mich so ab. Wenn ich dann noch einen Becher «Ben & Jerry’s»-Glace dazu löffeln kann, ist das Erlebnis perfekt.
5. Milo Rau, Theaterregisseur
Ich bin da reingerutscht. In mein Guilty Pleasure. Der Freund von Édourad Louis, mit dem ich ein Stück machte, nahm mich mit. Er arbeitete nebenher im Disneyland. Das Vorurteil: Vergnügungsparks seien Komplett-Verblödung. Da sage ich: Künstlerische und szenografische Meisterleistungen sind das!
Womit ich sonst viel Zeit verbringe? Wikinger-Serien suchten. Diese Kostüme, die Bauten, die Details der Schlachtszenen. Faszinierend! Ein (schöner) Nebeneffekt: Man häuft sich ein riesiges Mittelalter-Wissen an.
Die zwei Guilty Pleasures verschmelzen in meiner Lieblingsbeiz. Die ist im Phantasialand, mitten in der mittelalterlichen Zwerg-Bergarbeiter-Welt. Wäre sie nicht so abgelegen, wäre ich da wohl wöchentlich anzutreffen.
Aufgezeichnet von Mara Schwab und Franz Kasperski.