Der Krieg in Gaza hat bisher fast 50'000 Palästinenserinnen und Palästinenser das Leben gekostet. Gebäude, Strassen und Ackerflächen sind zerstört.
Zerstört ist auch ein vielfältiges Kulturleben. Denn Gaza ist nicht nur ein dicht besiedeltes Gebiet hinter hohen Mauern, regiert von der militant-islamistischen Hamas, sondern auch das Zentrum der palästinensischen Kultur.
Gaza als Kultur-Hotspot
Laut dem palästinensischen Schriftsteller Atef Abu Saif sind die geläufigen Vorstellungen von Gaza ein einziges Missverständnis. «Die Leute denken, Gaza ist ein Ort der Nachrichten – eine Bäckerei, die nur heisse News produziert. Das stimmt aber nicht», sagt der 51-Jährige.
Gaza sei viel mehr. In den Jahren nach der Staatsgründung Israels 1948 und der Flucht von etwa 200'000 Palästinenserinnen und Palästinensern nach Gaza wurde der Küstenstreifen zum Zentrum der palästinensischen Kultur. Durch den Zustrom von urbanen Eliten und Intellektuellen, aber auch unter ägyptischem Einfluss entfaltete sich das Kulturleben, sagt Abu Saif.
In den 50er- und 60er-Jahren habe es für ägyptische Sängerinnen, Schauspieler und Dichter dazugehört, in Gaza aufzutreten, so der Autor. Sogar eine Gewerkschaft für die Kinobetreiber habe es gegeben und eine grosse Literaturszene sei entstanden.
Erzähl mal!
Diese Liebe zu Büchern führt Atef Abu Saif auch darauf zurück, dass 70 Prozent der Bevölkerung von Geflüchteten abstammt. Und in den Flüchtlingslagern Gazas habe sich eine Tradition des Geschichtenerzählens entwickelt: «Das half, die Erinnerung an die verlorene Heimat lebendig zu halten und an die junge Generation weiterzugeben, die darüberschreiben konnte – wie ich.»
Atef Abu Saif ist im Flüchtlingslager Dschabaliya im Norden Gazas aufgewachsen. Dort gab es keine Bibliothek, keine Sportplätze. Nur Geschichten gab es im Überfluss. Geschichten seiner Grossmutter, einer einst reichen Frau, die aus Jaffa nach Dschabaliya fliehen musste. Oder Geschichten der Nachbarn, die im Café sassen und über vergangene Zeiten sprachen.
Als Kind stellte sich Abu Saif vor, er sitze auf einem fliegenden Teppich und höre den Erzählungen von oben zu. Er begann, die Geschichten in einem Notizbuch zu notieren. Jahre später sind daraus mehrere Romane entstanden – zehn bisher. Die Auszüge seines Kriegstagebuchs hat unter anderem die «New York Times» abgedruckt.
Verlust und Widerstand
Der Alltag von Kunst- und Kulturschaffenden in Gaza sei auch vor diesem jüngsten Krieg schwierig gewesen. So haben Grenzschliessungen Israels und Ägyptens es vielen unmöglich gemacht, ihre Arbeiten im Ausland zu zeigen, etwa an Buchmessen oder Ausstellungen. Dazu kommt die militante Hamas, die ihre eigenen Vorstellungen von Kultur habe und diese islamisieren wolle.
«Was ihr aber nicht gelungen ist. Denn die Zivilgesellschaft ist intellektuell, säkular und sehr stark», sagt Atef Abu Saif, der als Gegner der Hamas bekannt ist. Er beklagt, dass die lebhafte Kulturszene Gazas kaum je beachtet werde, und befürchtet, dass sie im aktuellen Krieg unwiederbringlichen Schaden erlitten habe.
Ein Teil unseres Geistes ist gebrochen worden.
Man könne zwar die Infrastruktur wieder aufbauen, meint Abu Saif, aber die Erinnerung könne man nicht zurückbringen. «Die Schriftsteller, die gestorben sind, die Schauspielerinnen, die getötet wurden – Dieser Verlust kann nicht kompensiert werden», sagt er. «Ein Teil unseres Geistes ist gebrochen worden.»