Ein halbes Jahrzehnt lang filmt der palästinensische Aktivist Basel Adra, wie seine im Westjordanland gelegene Gemeinde Masafer Yatta durch die israelische Besatzung zerstört wird. Dabei geht er eine unwahrscheinliche Allianz mit einem israelischen Journalisten ein, der sich seinem Kampf anschliessen will.
Die Handlung des Dokfilms «No Other Land» spielt nicht im Gazastreifen, und gefilmt wurde mehrheitlich vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Das darf man beim Zuschauen nicht ausblenden. Denn: «No Other Land» ist kein neutraler Film. Es geht (noch) nicht um Krieg, aber es geht um Vertreibung.
Vertreibung, Zerstörung, Militär
Der Film zeigt, wie israelische Armeeangehörige noch bewohnte Häuser mit Bulldozern plattwalzen, weil Israel diese palästinensischen Wohngebiete zur Militärzone erklärt hat und dort einen Waffenplatz bauen will.
Von den vier Filmschaffenden, die das festhalten, sind zwei junge Männer auch vor der Kamera präsent. Als Protagonisten agieren Basil Adrar, ein betroffener Palästinenser, und Yuval Abraham, ein israelischer Menschenrechtsaktivist und – gemäss einiger Landsleute – ein Verräter: Sie beschimpfen ihn vor laufender Kamera.
Ihre Waffe: die Kamera
Adrar und Abraham lernen sich kennen und freunden sich an. Das sind die aufrichtig schönen Momente des Films. Die beiden ziehen gemeinsam in den Kampf: mit ihren Kameras als Waffen. Furchtlos und im entscheidenden Moment halten sie darauf. Auch – oder gerade – wenn bewaffnete Räumungstrupps involviert sind: «Das passiert genau jetzt in meinem Dorf. Überall sind Soldaten.»
Der gesamte Film funktioniert unter dem Motto «Wir zeigen der Welt das, was Israel verbergen möchte». «No Other Land» dokumentiert, wie ein palästinensischer Strommast von der israelischen Armee umgerissen wird, wie Soldaten einen Brunnen mit Teer zuschütten und einen Spielplatz absperren. Und vor allem, wie sich ein Palästinenser beim Gerangel um einen Generator eine israelische Kugel einfängt, woran er später sterben wird.
Ob man das jetzt als mutigen Enthüllungsjournalismus oder als einseitige Propaganda wahrnimmt, das hängt nicht zuletzt von der eigenen Befangenheit im Nahostkonflikt ab. Der Ko-Filmregisseur und Mitaktivist Yuval Abraham legitimiert sein Handeln jedenfalls innerhalb des Dokumentarfilms in einer TV-Schaltung, in der er in Kurzform erklärt, warum er, ein Jude, sich in dieser Sache konsequent auf die Seite von Palästina stellt. «Als Israeli glaube ich, dass wir keine Sicherheit haben können, solange Palästina keinen Frieden hat», sagt Yuval Abraham.
Terror der Hamas nur oberflächlich beleuchtet
Es ist unnötig, zu betonen, wie weit weg dieses Ziel nun wieder gerückt ist. Dieser Terroranschlag vor einem Jahr: Abraham und Adra mussten ihn noch in ihren schon fast fertigen Film einbauen. Sie tun das auch. Aber sie tun es fahrlässig und oberflächlich: mit einem kurzen Ausschnitt aus einem Radiobericht. Nur an dieser Stelle im Film werden die Hamas kurz erwähnt. Unmittelbar danach ist von Netanjahus Vergeltung die Rede – von Palästina ausgehender Terror hingegen passt nicht ins Bild.
Das ist weder diplomatisch noch sensibel noch versöhnlich. Das wollen die Filmschaffenden auch nicht sein. Und wenn man «No Other Land» gesehen hat, dann versteht man auch ein Stück weit, warum.
Kinostart: 1. November 2024