Dass die Ausstellung «Michael Jackson. On the Wall» in Bonn vor der neuen Diskussion um die Missbrauchsvorwürfe konzipiert wurde, ist offensichtlich.
Sie war wohl als Kunstvermittlungsmassnahme mit hohem Publikumspotenzial gedacht: eine Schau, die Pop-Liebhaber und Michael-Jackson-Fans ganz undidaktisch mit zeitgenössischer Kunst hätte infizieren können.
Jetzt ist alles anders – ausser die Ausstellung. Sie ist im Grossen und Ganzen dieselbe geblieben und steht ein bisschen schräg in der Landschaft.
Denn während wieder über Missbrauchsvorwürfe gegen Michael Jackson diskutiert wird, nachdem im Film «Leaving Neverland» neue Anschuldigungen gegen ihn laut wurden, sind in der Bundeskunsthalle Bonn Kunstwerke zu sehen, die den «King of Pop» ungebrochen als einflussreichen schwarzen Superstar feiern.
Künstlerinnen und Künstler haben zum Medienphänomen Michael Jackson beigetragen: Sie haben sich von PR-Fotos beeindrucken lassen, Songs und Videos rezipiert, Tanzschritte geübt, einen Style übernommen und all das in ihrer Kunst gespiegelt.
Sie haben sich in ihren Hommagen mit der massenmedial vermarkteten Oberfläche des Popstars auseinandergesetzt – mit den Hilfsmitteln der Vermarktungsmaschinerie, nicht mit ihren Widersprüchen.
Eine ungewollte Dynamik
Da jetzt wieder intensiv über Missbrauchsvorwürfe diskutiert wird, erscheint diese Rezeption fragwürdig. Sie lässt sich als unkritische Teilnahme an einer professionellen Verteidigungsstrategie lesen.
Oder etwas weniger zugespitzt ausgedrückt: Heute sieht man Scheuklappen, von denen wir früher nicht wussten, dass wir sie trugen.
«Ich sehe die Bilder der Ausstellung heute anders», sagt Rein Wolfs, Leiter der Bundeskunsthalle in Bonn. Plötzlich seien sie auf mehreren Ebenen interpretierbar.
Es sei ihm wichtig, die Missbrauchsvorwürfe ernst zu nehmen. Die Ausstellung drehe sich aber nicht um Jackson selbst, sondern um ein Medienphänomen.
Der strahlende Ritter
Interessant ist diese Schau unter geänderten Vorzeichen dort, wo deutlich wird, welche Macht Bilder haben: Sie sind keine unschuldigen Zeugen. Sie tragen zur Überhöhung von Michael Jackson und zur Festigung von seinem Image bei.
Offensichtlich ist das im Porträt des Künstlers Kehinde Wiley. Das Auftragswerk zeigt Jackson als strahlenden Ritter hoch zu Ross. Als Herrscher über die geeinten Poplande, auch wenn der «King of Pop» da schon ein Jahr tot war.
Dass das Bild das Porträt des spanischen Königs Philipp II. von Peter Paul Rubens aus dem frühen 17. Jahrhundert zitiert, ist mehr als eine kunsthistorische Fussnote – hatte dieses Porträt doch das Ziel, den unpopulären Herrscher über das Medium Bild zu rehabilitieren.
Auf dieselbe Überhöhungsstrategie setzen Auftraggeber Jackson und Künstler Wiley. Das mag heute ironisch wirken, war 2009 aber vermutlich nicht ironisch gemeint.
Viele Arbeiten in der Ausstellung sind ungebrochene Hommagen. Die wohl überschwänglichste stammt vom amerikanischen Fotografen David LaChappelle.
Jesus Christus, Superstar
Seine perfekt inszenierten, auf Hochglanz polierten Fotos zeigen Jackson als Erzengel im Kampf mit dem Teufel oder als toten, schwarzen Christus. In den Armen liegt er dabei nicht Maria, sondern einem weissen Christus.
Diese Bildtradition der «Pietà» reicht als Überhöhung offenkundig nicht aus. Der mutmassliche Täter Michael Jackson wird auf dem Foto zum Opfer.
Zu sehen ist die bildgewordene Verteidigung des Superstars gegen die Missbrauchsvorwürfe, über die bereits in den 1990er-Jahren diskutiert wurde, und von denen Jackson 2005 in einem Gerichtsverfahren freigesprochen wurde.
Bilder als PR-Strategie
Bilder sind gut darin, mehrdeutig zu schillern. Sie suggerieren Interpretationsfolien, wahlweise als Erlöser, Opfer oder strahlender Ritter und übernehmen damit die PR-Strategie hinter dem Superstar.
Gleichzeitig sind die ausgestellten Werke so offensichtlich übertrieben, dass sie heute nur noch ironisch zu interpretieren sind.
Auch Bilder, die direkt der PR-Strategie entstammen, sind Teil der Ausstellung. Beispielsweise Mark Rydens Plattencover für das Album «Dangerous» (1991). Sichtbar wird, wie über Bilder und eine dunkle «Weirdo»-Ästhetik ein Image bedrohlich aufpoliert wird.
Ursprünglich negativ besetzte Begriffe wie «Thriller» oder «Bad» spielten eine grosse Rolle in Jacksons Karriere. Kein Wunder: Nur Everybody’s Darling zu sein, ist für einen erwachsenen Superstar, der unterschiedliche Publikumssegmente ansprechen soll, nicht ausreichend.
Künstler Mark Ryden übersetzt diese Imagestrategie ins Bild, arbeitet mit der düsteren Hieronymus-Bosch-Ästhetik eines Wimmelbuches mit Unterweltsmotiven und einem bedrohlich wirkenden Augenpaar.
Am überzeugendsten wirken heute die künstlerischen Arbeiten, die sich weniger mit Michael Jackson auseinandersetzen als mit dem Hype, den er auslöste: Die Videokünstlerin Candice Breitz etwa stellte eine ganze Gruppe von Jackson-Fans ins Studio. Dort performen sie die Songs ihres Idols für Breitz’ Videokamera.
Die Hingabe und das pure Glück auf den Gesichtern der Fans lassen erahnen, was das Medienphänomen Jackson und seine Musik individuell auszulösen vermögen. Und auch wie gross das menschliche Bedürfnis nach Superstars ist.
Und dann wird klar, dass Superstars nicht nur dank manipulativer PR Techniken entstehen: Wir kreieren sie.
Dass die Bonner Ausstellung diesen Zusammenhängen Raum gibt, ist ihr grosses Verdienst. Sie bleibt nicht bei der Frage stehen: Darf man Jackson Songs noch hören? Sondern zeigt auf, dass es dank Angebot und Nachfrage etwas komplizierter ist.
Der Superstar als Superstar
Komplex ist auch die Einsicht über das Wesen der Bilder, die diese Ausstellung vermittelt: Alle Kunstwerke der Ausstellung führen den Kult um Michael Jackson fort.
Die leicht kritischen, die offensichtlichen Hommagen, und auch die Auseinandersetzungen mit Fankultur: Alle tradieren den Superstar weiter als Superstar. Es gibt keinen Ausweg aus diesem PR-Loop.
Vermutlich sind Bilder nicht das richtige Medium für die Entzauberung des Medienphänomens. Das kann nur Sprache und eine Debatte.