Nicky ist gerade 31 geworden und hat keine konkreten Zukunftspläne: «Das habe ich mir früher anders vorgestellt. Ich fühle mich lost in dieser Gesellschaft.»
Während ihre Freundinnen in der Hochzeits- und Familienplanung stecken, fragt sie sich: «Ist das wirklich alles? Was sind meine Ziele? Wer bin ich – oder wer möchte ich überhaupt sein?» Ihre Gedanken bringt die Zürcherin in einem TikTok-Video zum Ausdruck.
Unter dem Hashtag #QuarterLifeCrisis generiert das Video über 35'000 Aufrufe. Obwohl die Krise aktuell noch wenig erforscht ist und als neues Phänomen gilt, geht der Begriff in den sozialen Medien viral.
Auf ewiger Sinnsuche
Psychologin Ulrike Stedtnitz betont, dass es sich nicht um einen neuen Medizinbegriff handelt, sondern um einen Teil der Entwicklung junger Menschen. «Diese Krise bezeichnet eine längere Phase der Desorientierung, in der man sich fragt, wo man hingehört und was man will.» Sie stellt fest, dass junge Menschen heutzutage mehr denn je nach Sinn und Selbstverwirklichung streben.
Junge Erwachsene sind hochsensibel
Junge Erwachsenen sind laut Ulrike Stedtnitz heutzutage sehr selbstreflektiert, stellen hohe Ansprüche an sich und befinden sich ständig auf der Suche nach Erfüllung und Sinn. Diese Hochsensibilität kann belastend sein, ist jedoch keine Schwäche: «Das ist eine Ressource und bringt uns dazu, Überlegungen anzustellen und Dinge zu verändern.»
Marvin (27) macht seine Erfahrungen mit der Quarterlife Crisis während der Corona-Pandemie im Lockdown: «Plötzlich musst du den ganzen Tag zu Hause sitzen. Das war das erste Mal, dass ich über meine Zukunft nachgedacht habe.»
Berufliche Unsicherheiten
Die neue Generation legt vermehrt Wert auf persönliches Wachstum und kontinuierliche Weiterbildung. Obwohl Marvin schon die unterschiedlichsten Berufe ausprobiert hat, war bisher noch nicht der richtige dabei: «Wenn du nicht weisst, was du im Leben willst, ist es einfacher von heute auf morgen etwas Neues zu suchen.»
Auch Nicky ist unzufrieden mit ihrer Jobsituation als Innenarchitektin. Erhofft hat sie sich einen kreativen Job. Aber: «Am Ende vom Tag machst du dann Terminplanungen, Kostenplanungen und Bauleitungen.»
Beruflichen Zweifeln begegnet die Psychologin Ulrike Stedtnitz häufig. Die volatile Zeit verstärke das Ganze: «Früher hatte man noch die Gewissheit, dass es irgendwie weitergeht. Viele Möglichkeiten hatte man nicht. Heute sehen wir, dass diese Perspektive wegbricht.» Die Fülle an Möglichkeiten könne verwirren und junge Erwachsene in ihren Entscheidungen verunsichern.
Die Krise im Rampenlicht sozialer Medien
Ist das Erwachsenwerden also schwieriger geworden oder ist die Generation Z einfach zu «verweichlicht»? Aus einem Bericht der amerikanischen Harvard-Universität geht hervor, dass jungen Menschen heute mehr leiden als frühere Generationen. So sei das Durchschnittsalter für den Ausbruch von Depressionen von Ende 40 auf Mitte 20 gesunken.
Verantwortlich dafür sind verschiedene Faktoren, einer davon ist der technologische Wandel. Die Auswirkungen von sozialen Medien hätten einen grossen Einfluss auf die Art und Weise, wie Menschen ihre Identität entwickeln. Die Vergleichskultur sei im Gegensatz zu früher intensiver.
Ulrike Stedtnitz rät aus psychologischer Sicht Handy-Pausen einzulegen und sich in der Natur und im Freien aufzuhalten, um sich von diesem Druck zu lösen.