Pro Helvetia fördert weiterhin russische Kulturschaffende – auch nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Pikantes Detail: Diesen Sommer wurde bekannt, dass der Chef der Schweizer Kulturstiftung, Philippe Bischof, mit der ehemaligen Leiterin des Pro Helvetia-Büros in Moskau liiert ist.
Bischofs russische Partnerin lebt mittlerweile in Zürich und leitet den Bereich «Aussennetz und Internationales». Hat sie dafür gesorgt, dass die Stiftung einen russlandfreundlichen Kurs einschlägt? «Nein», sagt Jérôme Benoit entschieden. Der stellvertretende Direktor erklärt: «Keine Einzelperson kann einfach eine Entscheidung treffen.» Es gebe Regeln und Prozesse.
Nachdem die Liebesbeziehung bekannt geworden war, hat Pro Helvetia ihre Führungsetage umgebaut: Delegierter Direktor für den Bereich «Aussennetz und Internationales» ist nun Bischofs Stellvertreter Jérôme Benoit. Die Lebensgefährtin von Philippe Bischof ist ihm damit nicht mehr direkt unterstellt.
Kritiker monieren, dass Pro Helvetia ihr Austauschprogramm für russische Künstlerinnen und Künstler weiterführt – auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs. Anders als etwa das deutsche Goethe-Institut. Das hat sämtliche Künstlerreisen und Gastspiele abgesagt.
Freiräume aufrechterhalten
Pro Helvetia dagegen hat seit Kriegsbeginn die Förderung für Veranstaltungen vor Publikum gestrichen. Der Austausch zwischen einzelnen Künstlerinnen und Künstlern wird aber weiter gefördert, wenn auch in deutlich geringerem Umfang: In den vergangenen knapp zwei Jahren ermöglichte Pro Helvetia 22 russischen Kulturschaffenden Forschungsaufenthalte und Residenzen in der Schweiz.
Das ist eine Reduktion um rund 80 Prozent. Jérôme Benoit erklärt das Engagement von Pro Helvetia in Russland so: «Wir sind überzeugt, dass es wichtig ist, Freiräume für Kunst so gut es geht aufrechtzuerhalten – auch unter schwierigen Bedingungen.»
Es braucht Fingerspitzengefühl
Auch das deutsche Goethe-Institut engagiert sich weiter in Russland und unterhält dort sogar zwei Dependancen: eine, wie Pro Helvetia, in Moskau und eine in St. Petersburg. Ausserdem finden Veranstaltungen im geschlossenen Rahmen statt. Wie Pro Helvetia will das Goethe-Institut so Diskursräume in Russland offenhalten. Wilfried Eckstein, Leiter des Goethe-Instituts Moskau, sagt: «Ich kann das Anliegen von Pro Helvetia verstehen. Für eine solche Förderung braucht es Fingerspitzengefühl. Aber es geht darum, dass sich die Mauer nicht ganz schliesst.»
Die NZZ am Sonntag berichtete kürzlich, dass Pro Helvetia auch eine Kulturschaffende gefördert hat, die später unter anderem eine prestigeträchtige Stelle an einer russischen Universität angenommen hat. Hat Pro Helvetia hier das nötige Fingerspitzengefühl vermissen lassen? Jérôme Benoit formuliert es so: «Wenn wir damals bestimmte Dinge gewusst hätten, die wir heute wissen, hätten wir in diesem Fall anders entschieden.»
Andererseits ist klar: Auch kritische russische Künstlerinnen müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wilfried Eckstein vom Goethe-Institut betont: «Russische Kulturschaffende müssen Kompromisse eingehen und Jobs annehmen, um sich über Wasser zu halten.»
Im November hat der Stiftungsrat von Pro Helvetia entschieden, das Engagement in Russland zu überdenken. Im Frühling soll feststehen, wie es mit den Förderprogrammen für russische Kulturschaffende weitergeht.