Sie weiss nicht mehr, was der Auslöser war. «Ich glaube, ich habe nicht das gekocht, was er wollte oder ich habe es zu wenig gewürzt. Es war auf jeden Fall eine Kleinigkeit. Und er ist einfach explodiert.»
Sie wurde von ihrem Mann auf den Küchenboden gedrückt, vor den Augen der kleinen Tochter. «Und dann fing er an, mich zu würgen. Mir wurde schwarz und ich bekam grosse Angst, weil ich mich nicht um die Kleine kümmern konnte. Sie weinte und ich lag auf dem Boden. Da wusste ich: Hier ist Endstation.»
Es sind Menschen wie Janine (Name geändert), die im Kurzfilm von Jonathan Liechti und Anna Werren zum ersten Mal öffentlich über ihre Vergangenheit sprechen. Janine berichtet davon, wie ihre Liebesbeziehung zu einer Gewaltbeziehung wurde. Davon, wie ihr Mann immer häufiger, immer brutaler auf sie losging. Aber sie spricht auch darüber, wie sie sich aus der Gewaltspirale befreite.
Durch das eigene Umfeld inspiriert
«Ich doch nicht», lautet der Titel des Filmes. Dieser will aufrütteln, aufklären, aber auch auf Hilfsangebote aufmerksam machen. Die Idee kam der Regisseurin Anna Werren vor etwas mehr als zwei Jahren im Rahmen ihres Studiums der Vermittlung. «Das Thema häusliche Gewalt ist aufgekommen durch Menschen in meinem Umfeld, die gerade akut betroffen gewesen sind, auch durch Corona.» Ziel sei ein Vermittlungsprojekt zum Thema häusliche Gewalt gewesen, ergänzt Regisseur Jonathan Liechti. «Für alle ab der Oberstufe.»
Der Film ist extra dafür konzipiert, an Schulen eingesetzt zu werden und kann online angesehen werden. «Wenn jemand den Film in der Schule sieht, dann nimmt das Kind den Film danach vielleicht mit nach Hause und zeigt ihn den Eltern», so die Hoffnung von Liechti.
Im richtigen Moment handeln
Dem Filmteam ist es wichtig, ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Das hat damit zu tun, dass alle Beteiligten Erfahrungen mitbringen, in denen mehr Sensibilität hätte helfen können. «Wenn ich zurückschaue, gibt es ganz viele Situationen, in denen ich hätte einschreiten müssen», sagt Anna Werren.
Sie erinnert sich an ein Kind, das in ihrer Nachbarschaft aufgewachsen ist. «Es wurde als Bestrafung regelmässig im Keller eingesperrt. Das hat man gewusst und gedacht: ‹Das sind aber strenge Eltern.›» Doch niemand habe etwas unternommen – und genau dort fange das Problem an, so Anna Werren. «Im Verlauf meines Lebens hat es ganz viele solche Situationen gegeben.»
Die meisten Fälle bleiben unentdeckt
Kriminalstatistiken gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Geschätzt 80 Prozent aller Fälle von häuslicher Gewalt kommen nie ans Licht.
Die Macherinnen und Macher von «Ich doch nicht» sind überzeugt, dass häusliche Gewalt kein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Und dass es unsere Aufgabe als Gesellschaft ist, hinzuschauen, zuzuhören und Betroffenheit zu enttabuisieren.