Sie ist eine international erfolgreiche Schauspielerin. In der Schweiz bleibt Melanie Winiger aber vor allem eine «Miss» – wenn auch eine besonders unkonventionelle.
Ernst genommen werde sie aber nur im Ausland, erzählt Melanie Winiger im Interview. Ein Gespräch über zu frühes Erwachsenwerden und starke Weiblichkeit.
Sie sind als jüngste Miss Schweiz in die Geschichte eingegangen. Waren Sie mit 17 Jahren zu jung dafür?
Ja, ich war zu jung. Das Schwierigste war, dass man über Nacht von mir erwartete, erwachsen zu sein. Denn ich war alles andere als erwachsen. Ich musste mich zurücknehmen, mir überlegen, was ich sage. Welcher Teenager macht das schon?
Trotzdem habe ich mir das Recht auf meine Meinung immer genommen – was meine Laufbahn nicht unbedingt einfach gemacht hat.
Zum Beispiel?
Als ich mit 23 Mutter wurde, fragte man mich in einem Interview, ob ich an meine Grenzen käme. «Nein», sagte ich, «aber mein Sohn geht mir manchmal einfach auf den Sack.» Das tut er auch heute noch. Aber das stellt ja die Liebe zueinander nicht infrage.
Diesen Satz hat man Ihnen übel genommen.
Es war eine schwierige Zeit. Die ganze Schweiz hatte das Gefühl, sie dürfe meine Mutterschaft anfechten.
Als Mutter macht man sich immer Vorwürfe, dass man etwas anders hätte machen sollen. Wenn sich dann auch noch das ganze Land darüber auslässt, wie du es machst, ist es sehr schwierig. Dazu noch mit 23 Jahren.
Hat Sie das getroffen?
Es hat mich extrem getroffen.
Heute gelten Sie als die unkonventionellste und erfolgreichste «Miss» der Schweiz. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe mich nie über mein Gesicht definiert. Ich passe auch nicht in das klassische Schönheitsideal. Ich kann Ihnen garantieren, ich hätte am 7. September 1996 die «Miss Schweiz»-Wahlen nicht gewonnen, wenn es kein Interview gegeben hätte. Never ever! Man sagte mir vorher, ich hätte kaum eine Chance zu gewinnen.
Ohne mein Mundwerk hätte ich den Miss-Titel sicher nicht gewonnen.
Ich bin völlig locker zum Interview gegangen, habe Sprüche geklopft und für eine 17-Jährige zwei bis drei intelligente Antworten gegeben. Ohne mein Mundwerk hätte ich sicher nicht gewonnen.
Woher hatten Sie so jung Ihre Schlagfertigkeit?
Ich hatte es nicht immer leicht als Kind. Ich wurde gehänselt wegen meiner Hautfarbe. In der Schule sagten sie zu mir: «Scheiss Marokkanerin, geh zurück in dein Land«. Die Mädchen haben mich gefesselt und geschlagen.
Ich wollte nicht, dass meine Mutter das mitbekommt. Darum habe ich nur mit meinem Vater darüber gesprochen.
Wie ging Ihr Vater damit um?
Er sagte, ich müsse mich entscheiden: «Willst du das Opfer sein und weinend heimkommen, oder willst du reagieren?» Dann hat er mir beigebracht wie man zuschlägt – and then, Melanie was born! (lacht).
Fortan haben Sie Konflikte mit der Faust gelöst?
Ich liess mich einfach nicht mehr unterdrücken, hab mir nichts mehr bieten lassen. In der Schule haben sie sich dann über meinen Gerechtigkeitssinn lustig gemacht. Sie nannten mich «Supermelanie» und haben den Arm vorgestreckt, als ob ich Superman wäre. Aber damit konnte ich gut leben, besser als mit «Marrocchina di merda».
Heute sind Sie eine gefragte Schauspielerin. Steht Ihnen der «Miss»-Titel beruflich manchmal im Weg?
In der Schweiz werde ich weniger ernst genommen. Ich bin froh um die Aufträge aus Deutschland, da interessiert das niemanden.
Mit «#Female Pleasure» waren Sie zuletzt international erfolgreich. In dem Dokfilm geht es um weibliche Lust. Warum dieser Film?
Diesen Film zu machen, war so klar wie selten etwas in meinem beruflichen Leben. Ich bin dankbar, dass ich Teil dieses Films sein durfte. Denn der Film hat mich auch persönlich bestärkt.
Worin?
Im Frausein, ohne es allen Recht machen zu müssen. Ohne Angst zu haben, als tussig oder doof zu gelten.
Der Miss-Titel bringt den Tussi-Stempel mit sich. Ich habe meine Weiblichkeit versteckt.
Durch den Miss-Titel, der den Tussi-Stempel mit sich bringt, habe ich meine Weiblichkeit ein Stück weit vernachlässigt, sie versteckt. Der Film hat mich bestärkt, zu mir zu stehen – egal ob mit rotem Lippenstift oder schwarzen Nägeln.