«In der Bibel können auch queere Menschen Inspiration finden.» Das sagen die queer-feministische-Aktivistin Mentari Baumann und der römisch-katholische Theologe Meinrad Furrer.
Furrer ist Teamleiter in der Luzerner Peterskapelle und entwickelt mit Mentari Baumann eine queere Bibel. «Wir lassen die Bibel – eine Zürcher Bibel – wie sie ist und legen über gewisse Stellen neue Textschichten», erklärt Furrer das Projekt.
Die Bibel, aber bunt
Für die neue Luzerner Bibel schaut sich das Duo unter anderem vermeintlich queerfeindliche Bibelstellen an, etwa den Römerbrief im Neuen Testament. Darin mahnt Paulus, dass Männer und Frauen ihre natürlichen Beziehungen aufgegeben hätten und mit ihresgleichen verkehrten.
«Jetzt schreibe ich Paulus einen Brief und erkläre ihm, was ich an seinen Gedanken spannend finde und was aus heutiger Sicht problematisch ist. Ich erzähle ihm, was sein Text für eine Wirkungsgeschichte hatte und wie wir das heute lesen», sagt Furrer. Dieser literarische Antwortbrief liegt dann auf einem gesonderten Blatt der entsprechenden Stelle in der Zürcher Bibel bei.
Queere Passagen identifizieren und hervorheben
Meinrad Furrer will zudem vermeintlich queerfreundliche Stellen hervorheben, etwa in der Josefsgeschichte. Dort heisst es, dass Josef von seinem Vater ein Gewand erhält, das an anderen Stellen als Prinzessinnenkleid bezeichnet wird.
Furrer macht daraus eine Geschichte über einen begabten, hypersensiblen jungen Mann und wie er damit in seiner Familie umgeht. Er stellt die Frage, was eine queere Identität damit zu tun haben könnte. Es sind Erweiterungen wie diese, die in der Luzerner Bibel enthalten sind.
Und dann gibt es einige Textstellen in der Bibel, die gar keine Sexualität enthalten, die man aber queer denken könnte. So gibt es Passagen, die aussagen: So wie ich gemacht bin, bin ich gut. «Es gibt viele solcher inspirierenden Stellen, und wir heben diese hervor», betont Meinrad Furrer.
Die Heilige Schrift ist kein starres Produkt
Auch queere Menschen haben ein Recht auf die heilsame Kraft der Bibel. Das ist das Hauptanliegen von Meinrad Furrer. Die Bibel mit dieser Brille zu betrachten, ist allerdings nichts Neues.
Es ist vollkommen natürlich, die Bibel weiterzuschreiben.
Es gibt queere Theologinnen, die sich an Universitäten mit queerer Theologie beschäftigen. Auch die sozialen Medien sind voll mit LGBTQI+-Bibelauslegungen. Man kann sich fragen: Ist es sinnvoll, die Heilige Schrift dem heutigen Zeitgeist anzupassen?
«Die biblischen Bücher sind in einem sehr langen Prozess von Neudeutungen entstanden. Das kann die Forschung belegen», erklärt Furrer: «Es ist vollkommen natürlich, die Bibel weiterzuschreiben und neues Wissen in die alten Texte miteinfliessen zu lassen.»
In diesem Sinne soll auch die queere Luzerner Bibel nicht als fertiges, starres Produkt gedruckt, sondern ständig erweitert werden.