«Wir leben in wahrlich düsteren Zeiten.» Wie viele Reden, Kolumnen und Kommentare begannen in diesem Jahr nicht mit diesem Eingeständnis? Blutige Kriege, gespaltene Gesellschaften, die spürbaren Folgen der Klimakrise und eine Teuerung, die das Budget vieler empfindlich belastet: Wer mag da ungeteilt und frei von Sarkasmus ein «O du fröhliche» gen Himmel schmettern und einstimmen ins «Lasst uns froh und munter sein»?
Dabei ist das dumpfe Gefühl, in düsteren Zeiten zu leben, keinesfalls neu. Seuchen, Kriege, Katastrophen säumen die Menschheitsgeschichte, seit wir denken können. Selten war die Grundstimmung auf Erden bedingungslos heiter.
Allerdings hofften religiös gestimmte Gesellschaften selbst oder sogar gerade in apokalyptischen Zeiten auf Erlösung: Zwar mag es auf Erden wüst zu- und hergehen – in ferner Zukunft aber ist zumindest den Gerechten ein goldenes Zeitalter verheissen!
Heute hat sich das Zukunftsempfinden der meisten deutlich verdüstert. «Morgen, Kinder, wird’s was geben!», scheint nur mehr als Drohung durchzugehen. Wenn wir uns nicht endlich zusammenraufen, folgen düsterere Zeiten denn je.
Da scheint es fast wie ein trotziges Aufbegehren, dass sich in diesen Wochen ein kleines Büchlein mit dem Titel «Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten» als Verkaufsschlager entpuppt. Geschrieben hat es der deutsche Bestsellerautor Axel Hacke. Auf die Frage, ob man heute noch heiter sein darf – angesichts von Polykrisen, Krieg und Leid – gibt er ein beherztes «Ja» zur Antwort: Man darf – und soll sogar!
Heiterkeit als Seelenruhe
Dabei will Hacke seine Heiterkeit nicht verstanden wissen als brüllendes Lachen, Schenkelklopfen und Klamauk. Vielmehr geht es dem Autor bei der Heiterkeit um eine Haltung der «Seelenruhe» («ataraxia»), wie sie schon in der antiken Philosophie als Mittel der Lebenskunst angepriesen wurde.
Eine solch heitere Grundstimmung negiert das Schwere nicht, sondern integriert es in ein Dasein, das alle Facetten menschlicher Existenz zulässt und umschliesst: das Gelingende genauso wie das Scheitern, die Freude ebenso wie den Schmerz. Denn wir können nicht ändern, dass uns das Leben manchmal übel zuspielt und die Welt von Katastrophen heimgesucht wird. Ändern können wir allein unsere Einstellung dazu.
Abgrenzung hilft
Für Axel Hacke zeigt sich Heiterkeit wesentlich in der Fähigkeit zur Distanznahme zu dem, was uns bedrückt. Betrachten wir uns in unserem geschäftigen Dasein von aussen, gelingt uns vielleicht ein zärtliches Schmunzeln über uns selbst. Was für bizarre Tierchen wir doch sind!
Diese Distanznahme findet sich meisterhaft illustriert in den Cartoons des französischen Zeichners Sempé: Auf seinen Bildern sieht man um kleine Menschen meist ungeheuer viel Platz, leeres Weiss oder eine vollgestopfte Bibliothek, einen riesigen Sternenhimmel, eine enge Häuserschlucht. Die Figuren sind stets intensiv beschäftigt mit dem, was sie tun, und wirken gerade in ihrer Geschäftigkeit komisch: Als hinge der Weltenlauf ab von ihrem kleinen Leben.
Zoomen wir hinreichend weit hinaus und betrachten uns selbst vom Standpunkt des Universums aus, mutet unser Leben tatsächlich seltsam ulkig an, als wären wir Ameisen, die sich eifrig bemühten, einen Sandhügel emporzuklettern, nur um wieder und wieder die Körner unter sich wegzutreten.
Kosmischer Standpunkt
Diesen Vergleich zieht der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel 1971 in einem Aufsatz über das Absurde, der mittlerweile zum Klassiker geworden ist. Die kosmische Sichtweise, die er entwickelt, kann entlasten, indem sie uns davon befreit, unsere Sorgen und Nöte allzu tragisch zu nehmen. Was bedeuten sie schon angesichts der Dimensionen von Raum und Zeit?
Allerdings besteht die Gefahr, dass eine solche Extremform der Distanzierung in einen trostlosen Nihilismus abgleitet: Was soll das alles hier auf Erden? Zählt überhaupt irgendetwas – oder kommt es auf meinen Beitrag ohnehin nicht an?
Thomas Nagel lässt sich entgegenhalten, dass der menschliche Standpunkt kein kosmischer, sondern ein irdischer ist: Unsere Beziehungen und Pläne, unsere Liebe und unsere Sehnsucht zählen sehr wohl, weil sie verbunden sind mit menschlichem Glück und Leid. Gerade, weil wir keine Ameisen sind, ist unser Leben manchmal schwer und manchmal heiter, vor allem aber sinnerfüllt, wenn wir ihm Sinn verleihen.
Der Enge entfliehen
Vielleicht geht es bei der Heiterkeit also weniger darum, sich zu distanzieren und nichts mehr gelten zu lassen, als Raum zu schaffen und dem Gefühl einer gnadenlosen Enge zu entkommen. Denn wenn unsere Zeiten auch nicht zwingend düster sind, eng sind sie allemal! Da ist zum einen eine moralische Enge: Wehe, du machst einen Fehler! Ein unbedachter Post, ein Lacher an der falschen Stelle – und mit der Karriere ist es vorbei.
Zum anderen leiden viele unter einer zeitlichen Enge. Unter dem Gefühl, von Frist zu Frist zu hetzen. Schliesslich die Enge, die aus der modernen Wahlfreiheit entsteht: Wer wohlhabend ist, hat so viele Optionen, wie nie zuvor, und fühlt sich gerade deshalb bedroht, das Beste zu verpassen. Heiterkeit bestünde, so verstanden, in einem gnadenreichen Raum, in dem wir uns all den Imperativen, Fristen und dem Diktat der Optimierung entziehen können.
Das heisst in keiner Weise, jedes Ärgernis heiter wegzulächeln und zu resignieren, um sich in einem «Menefreghismo» einzurichten, wie die Haltung in Italien genannt wird: Auf alles zu pfeifen und damit indirekt die herrschenden Verhältnisse abzusegnen. Theodor W. Adorno hegte exakt diesen Verdacht, als er der heiteren Kunst eine Abfuhr erteilte und resümierte: «Vergnügt sein heisst einverstanden sein.»
Ändern, was man ändern kann
Rücken wir die Heiterkeit jedoch in die Nähe der stoischen Seelenruhe, ist sie weit entfernt von stumpfem Amüsement und unkritischem Abnicken. Die stoische Philosophie wird heute zu Unrecht auf ein «Self Care»-Programm reduziert, um mental gestählt den hektischen Berufsalltag zu bestehen.
Die Stoiker der Antike waren nämlich zumeist politisch engagierte Zeitgenossen. Denken wir an den römischen Kaiser Mark Aurel, der sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Sklaven einsetzte oder Seneca, der sich ausführlich mit der Idee der Gerechtigkeit befasste.
Es geht, stoisch gedacht, eben nicht nur darum, heiter und gelassen hinzunehmen, was sich nicht ändern lässt – sondern die Aufgabe lautet genauso, das zu ändern, was man ändern kann, und zwar gerade mit Blick auf jene, die wenig Anlass zu Heiterkeit haben.
Fantasie als Ressource
Geändert werden kann oftmals mehr als man denkt. Auch das eine Einsicht, die sich in Axel Hackes Buch über die Heiterkeit findet. Er verweist auf den Gedanken von Robert Musil, dass es doch, wenn wir über einen «Wirklichkeitssinn» verfügten, auch einen «Möglichkeitssinn» geben müsse: feine denkerische Ressource, die den eng gesteckten Rahmen der Wirklichkeit zu sprengen vermag.
Einigen mag das sauer aufstossen: Sie fühlen sich erinnert an alternative Fakten und Verschwörungstheorien, von denen wir wahrlich nicht mehr, sondern weniger benötigten.
Aber wenn wir die menschliche Kraft der Imagination, der Fantasie als Hilfsmittel sehen, die Dinge nicht nur so, sondern auch anders zu sehen, entsteht ein weiterer Raum, in dem Heiterkeit gedeihen kann.
Alles könnte anders sein!
Eines meiner liebsten Bücher von Axel Hacke war immer «Der kleine König Dezember». Es handelt von einem winzigen König, der in einer Ritze hinter der Wohnwand des Erzählers haust, sich am liebsten von Gummibärchen ernährt und immer kleiner wird, bis man ihn eines Tages nicht mehr sehen wird.
Den kleinen König und den Erzähler verbindet bald eine Freundschaft. Als der König wegbleibt, ist der Erzähler beunruhigt und überlegt, die Wand aufzubrechen, um seinen kleinen Gefährten zu suchen.
In diesem Moment erinnert er sich an die kluge Frage des Winzlings: «Warum willst du hinter die Wände schauen, anstatt dir vorzustellen, was da sein könnte?» Sich vorstellen, was da sein könnte – und sich erlauben zu hoffen, dass es etwas Gutes sein könnte, auch das ist eine Form der Heiterkeit.
Im Grunde genommen ist diese Heiterkeit gar nicht weit entfernt von der Deutung der Weihnachtsbotschaft, wie sie Hannah Arendt vornahm. Die Philosophin sah in der Weihnachtsbotschaft «Uns ist ein Kind geboren», ein Versprechen am Werk, dass es auch ganz anders sein könnte und werden kann.
Denn jeder Mensch ist ein Geborener, eine Geborene und damit auch ein Neuanfang. Es ist die «Gebürtlichkeit», die uns verbindet und uns erlaubt, als «Neuankömmlinge» in der Welt «Initiative zu ergreifen»: unseren Faden in die Geschichte zu weben und die Geschichte besser weiterzuerzählen.
Dazu bedarf es der Fantasie und des Mutes und ja: auch der Heiterkeit. Denn der Flickenteppich, in den wir unser Leben gewickelt sehen, wird uns nicht immer gefallen. Wagen wir dennoch, den einen eigenen Faden sorgfältig einzuweben!