Wie wieder miteinander sprechen? Das fragte sich die französische Intellektuelle und Rabbinerin Delphine Horvilleur nach dem 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Ihre Gedanken hat sie niedergeschrieben. Ein Jahr nach dem Angriff ist das Buch auch auf Deutsch erschienen.
Wobei: Eigentlich ist «Wie geht's?» eine Ansammlung von Gesprächen. Und dies, obwohl Horvilleur sagt, in Zeiten des Krieges zu sprechen, sei eine beinahe unmögliche Mission. So spricht sie mit ihrem Schmerz, ihren Kindern, gar mit dem Messias. Die meisten davon hätte sie mit sich selbst geführt, in endlosen Monologen.
Mit Bestürzen stellte ich fest, dass auch mir die Worte fehlten, um zu meiner Gemeinde oder mit meinen Kindern zu sprechen.
Was dabei herauskommt? Eine tastende Reise in die Welt der Sprache. Denn: in Zeiten des Krieges würden nicht nur Psyche und Körper angegriffen, sondern auch die Worte, so Horvilleur. «Mit Bestürzen stellte ich fest, dass auch mir die Worte fehlten, um zu meiner Gemeinde oder mit meinen Kindern zu sprechen», erzählt sie.
Verständlich: Wie sagt und spricht man über das, was nie in Realität und damit in Sprache hätte überführt werden sollen?
Wie Worte und Sprache Brücken schaffen oder sein können, das beschäftigt die Intellektuelle, die dem liberalen Judentum angehört, schon länger. Während ihres Studiums in Israel schloss sie sich der dortigen Friedensbewegung an und erlebte, wie der Premierminister Jitzchak Rabin 1995 von einem rechtsradikalen jüdischen Extremisten ermordet wurde. Ein Paukenschlag.
Nicht nur für die Friedensbemühungen zwischen Israel und Palästina, sondern auch für Horvilleur. Sie bricht ihr Medizinstudium ab, kehrt nach Frankreich zurück und widmet sich dem Journalismus.
Für Menschlichkeit einstehen
Ihre Anliegen haben sich seither aber nicht verändert. Das Buch beginnt und endet mit je einem Gedicht. Das Geleit bieten die Zeilen des palästinensischen Schriftstellers Mahmoud Darwish, den Abschluss macht ein Gedicht des jüdischen Schriftstellers Yehuda Amishai.
«Ich wollte das Buch mit Worten der Poesie umhüllen. Ich glaube mehr denn je an die Macht der Worte und dass wir aus der Poesie schöpfen müssen, geschrieben von Menschen, die glauben, dass unsere Worte die Welt verändern können», erklärt sie diesen Entscheid.
Nur wenn wir den Schmerz der anderen wahrnehmen, ist Hoffnung möglich.
Am Anfang des Werkes steht so der poetische Wunsch, dass möglichst viele Menschen versuchen mögen, eine Kerze im Dunkel des Hasses zu sein und damit für die Menschlichkeit einstehen. Denn: «Nur wenn wir den Schmerz der anderen wahrnehmen, ist Hoffnung möglich.»
Mit Andersdenkenden sprechen
Ein Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen, startete Horvilleur in den eigenen vier Wänden: Sie suchte das Gespräch mit Andersdenkenden und lud diese an Schabbat zu sich nach Hause ein, an einen Tisch, der offen für den Dialog bleiben sollte.
Dabei hätte sie sich eine wesentliche politische Frage stellen müssen: Mit wem kann man, mit wem darf man nicht mehr reden? Die Antwort: «Mein Grundsatz mag nicht sehr ehrgeizig klingen. Er lautet, dass ich mit jedem spreche, unter der Bedingung, dass der andere mein Existenzrecht nicht mit Füssen tritt.»
Ganz im Gegenteil: Der Ansatz ist ehrgeizig. Gerade, wenn man mit dem eigenen Schmerz zu kämpfen und ein Trauma zu überwinden hat. Eines, das Jahrzehnte zurückgeht und ganze Nationen betrifft. Eines, das gebaut ist aus Auf- und Abrechnungen und im stetigen «ja, aber» sein tödliches Perpetuum mobile findet.