In einem Zürcher Hotel erzählt die iranische Videokünstlerin und Fotografin Shirin Neshat, wie sie die Proteste im Iran wahrnimmt. Seit Wochen gehen Tausende Iranerinnen und Iraner auf die Strasse. Es sind die heftigsten Demonstrationen seit 40 Jahren.
Die aktuellen Proteste hätten eine neue Qualität, sagt Shirin Neshat: Die jungen Menschen, die jetzt auf die Strasse gingen, seien nicht zu Reformen oder Kompromissen bereit: «Sie wollen, dass das Regime verschwindet. Diese jungen Leute haben nichts zu verlieren – weil sie im Iran keine Zukunft haben. Deshalb sind sie so mutig und sagen: ‹Mein Leben, mein Blut, damit diese Diktatur endet›.»
Frauenkörper als politisches Schlachtfeld
Bereits 2009 gab es im Iran landesweite Proteste, die als «grüne Bewegung» bezeichnet wurden. Damals sei die Stimmung bei den Demonstranten noch ganz anders gewesen, sagt Neshat: Bei der grünen Bewegung gab es eine Reformpartei, die sich für einen gemässigten Islam starkmachte.
Viele Iranerinnen und Iraner wären 2009 mit einer solchen Lösung zufrieden gewesen, sagt Shirin Neshat. Doch die Bewegung wurde brutal niedergeschlagen.
Heute, erzählt Neshat, bestehe das Regime nur noch aus islamistischen Hardlinern. Von deren Gängelei wollten sich nun vor allem Frauen befreien: «Im Iran wird der Körper von Frauen als eine Art Schlachtfeld für ideologische, religiöse und politische Rhetorik missbraucht. Die iranischen Frauen sagen jetzt endlich: ‹Es reicht! Ihr dürft meinen Körper nicht mehr benutzen, um eure Ideologie zu verbreiten.›»
Hilfe aus dem Exil
Shirin Neshats Videoarbeiten und Fotos drehen sich seit Jahrzehnten um iranische Frauen und ihren Kampf für Freiheit.
Für Neshat, die seit Jahren in den USA lebt, ist es nur natürlich, dass sie sich aus dem Exil für die Protestierenden im Iran starkmacht. Das tut sie vor allem über Instagram, wo sie Medienberichte über die Proteste mit ihren Followern teilt.
Auch im Iran, sagt sie, unterstützen jetzt immer mehr Künstlerinnen die Protestierenden. Das habe sie überrascht: «Das ist grossartig! Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Iran Künstler kaum unterstützt. Wir als Exil-Künstlerinnen können zusätzlich von aussen helfen.»
Echte Unterstützung braucht mehr als symbolische Aktionen
Ihre Solidarität mit den Protestierenden wollten in den vergangenen Wochen auch diverse nicht-iranische Künstlerinnen demonstrieren: etwa die französischen Schauspielerinnen Isabelle Huppert, Juliette Binoche und Isabelle Adjani, die sich öffentlichkeitswirksam die Haare abschnitten. Solche Aktionen seien hilfreich, weil sie viel Aufmerksamkeit erzeugten und die protestierenden Frauen im Iran vermutlich inspirierten.
Doch Haareschneiden allein, sagt Shirin Neshat, sei nicht genug: «Wenn Menschen den iranischen Frauen und dem iranischen Volk wirklich helfen wollen im Kampf gegen ein brutales faschistisches Regime, dann muss man Druck auf die eigene Regierung machen. Damit diplomatische Verbindungen zur iranischen Regierung abgebrochen werden.»
Denn Neshat ist überzeugt: Die islamistische Regierung in Teheran ist keine legitime Vertretung des iranischen Volkes.