Am allerliebsten wäre Natalie Amiri jetzt im Iran und nicht in Deutschland, wo sie täglich den Medien Rede und Antwort steht, erzählt die Journalistin am Ende des Gesprächs bei «Gredig direkt». Die Wehmut, jetzt nicht dort zu sein, wo sich gerade eine Revolution entfaltet, ist nicht zu überhören.
Journalismus mit Empathie
Die ehemalige Leiterin des ARD-Studios in Teheran darf, wie alle internationalen Journalistinnen und Journalisten, zurzeit nicht in den Iran reisen, umso lautstarker kommentiert sie auf Twitter und anderen Kanälen die Ereignisse aus der Ferne. Mit dem Tod der jungen Iranerin, an dem sich Mitte September die Aufstände entzündeten, wurde Amiri zu einer der gefragtesten Stimmen im deutschsprachigen Raum, wenn es um die Situation im Iran geht. Ihre Tweets verbreiten sich wie ein Lauffeuer und beeinflussen auch immer mehr die deutsche Politik.
Trotz ihrer persönlichen Betroffenheit und ihrer Nähe zum Thema, ist sie überzeugt, dass sie die nötige journalistische Distanz wahren kann. «Was hindert mich daran, guten Journalismus zu machen, wenn ich empathisch das begreife und wahrnehme, was die Menschen dort durchleiden?», sagt sie selbstbewusst und entwaffnend.
Beginn einer feministischen Revolution
Was im Iran gerade passiere, sei die Rechnung, die der Gottesstaat nach Jahrzehnten der Unterdrückung von seinem Volk präsentiert bekomme, angetrieben von den Frauen. Sie selbst spricht noch nicht von einer Revolution, sie zitiert bei Urs Gredig dafür die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die bereits jetzt vom Beginn einer Revolution spreche. Man müsse mit diesem Begriff vorsichtig umgehen, mahnt Amiri. «Wenn daraus wirklich eine Revolution entsteht, wäre dies die erste feministische Revolution der modernen Geschichte, in der Frauen sowohl Auslöser als auch Motor dieser Revolution sind», sagt Amiri.
Die Journalistin, die selbst sechs Jahre permanent in Teheran gelebt und gearbeitet hat, sagt von sich selbst, sie habe einen deutschen Kopf und ein persisches Herz. Dieses Zuhause-Sein in beiden Welten erlaubt ihr einen Blick von aussen in beide Kulturen. Trotzdem sei sie immer wieder erstaunt, wie wenig Wissen und Bewusstsein in Europa vorhanden seien, über die iranische Gesellschaft und die uralte Kultur.
Die Frauen im Iran leben wirklich den Feminismus.
Dass es jetzt brodelt, sei für sie alles andere als überraschend, erklärt sie. Man dürfe nicht vergessen, dass nur gerade noch rund 30 Prozent der Iranerinnen und Iraner sich selbst als gläubige Muslime sehen. Und auch punkto Feminismus könne sich so manche Frau im Westen ein Vorbild nehmen an den Iranerinnen, sagt Amiri.
«Die Frauen im Iran leben wirklich den Feminismus. Ich habe das Gefühl, dass wir uns manchmal da eher nur mit Worthülsen schmücken. Gelebter Feminismus heisst ja auch, wirklich Widerstand zu leisten und Widerworte zu geben», sagt die deutsch-iranische Journalistin.
Sie ist überzeugt, dass der Westen viel zu wenig wahrnehme, was im Iran gerade passiert. Es bräuchte dringend auch mehr Unterstützung und schärfere Sanktionen gegen Einzelpersonen der Elite, sagt die Journalistin, und lässt dabei ihr persisches Herz sprechen, in der Hoffnung, dass auch sie bald selbst wieder ihre zweite Heimat besuchen kann.