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Religion auf dem Rückzug Tobias Haberl: «Als Christ muss man sich heute rechtfertigen»

Immer weniger Menschen bekennen sich in der Schweiz zum Christentum. Der Journalist Tobias Haberl tut es – und stellt fest, dass er dafür belächelt oder sogar diskriminiert wird. Wer heute noch glaubt, gilt als in der Zeit stehen geblieben, erklärt Tobias Haberl – und legt in seinem neuen Buch «Unter Heiden» eine Verteidigung seines Glaubens vor.

Tobias Haberl

Journalist

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Tobias Haberl ist ein deutscher Journalist und Sachbuchautor. Mit seinem 2024 veröffentlichten Buch «Unter Heiden» setzt sich Haberl offensiv mit seinem Glauben als katholischer Christ und der Situation des Glaubens in einer post-christlichen Gesellschaft auseinander.

SRF: In der Schweiz leben mittlerweile mehr Konfessionslose als Katholiken. Fühlen Sie sich als gläubiger Christ manchmal allein?

Tobias Haberl: Es gibt dieses Gefühl der Isolation, dass ich Befremden auslöse, wenn ich von meinem Glauben erzähle. Zwar können manche noch nachvollziehen, dass man an Gott glaubt oder an irgendetwas, das sich nicht erklären lässt.

Doch viele sind komplett irritiert oder vor den Kopf gestossen, wenn man sagt, man sei auch noch in der Kirche – ein praktizierender Katholik. Nach allem wegen dem, was passiert ist – Thema Missbrauchsskandal zum Beispiel.

Sie haben diesem Gefühl Ausdruck verliehen – zuerst in einem Essay, später in einem Buch. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe mich gefühlt wie ein Eisbär auf schrumpfender Scholle. Als ich ein Junge war, tuschelte man über diejenigen, die nicht in die Messe kamen. Heute werde ich schief angeschaut, wenn ich sage, dass ich am Sonntag leider nicht kann – weil ich in den Gottesdienst gehen will.

Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben – nämlich das Gefühl, sich als Christ heute rechtfertigen zu müssen.

Besonders in meinem Umfeld, einem linksliberalen, progressiven Milieu. Dieses Gefühl wollte ich in Worte fassen. 

Die Rückmeldungen darauf waren immens. Sie erhielten mehrere hundert Briefe?

Tatsächlich habe ich in meiner Laufbahn noch nie so viele Reaktionen auf einen Text erhalten. Ich habe gemerkt: Ich bin nicht allein. Die Menschen schrieben: «Sie sprechen mir aus der Seele». Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben – nämlich das Gefühl, sich als Christ heute rechtfertigen zu müssen.

Die Reaktionen zeigen auch: Der christliche Glaube ist für viele Menschen nach wie vor wichtig. Wie sind Sie selbst zum Glauben gekommen?

Ich wurde katholisch sozialisiert und bin in den 1970er- und 80er-Jahren im Bayerischen Wald aufgewachsen. Damals war der Glaube für mich selbstverständlich.

Ich glaube nicht, dass wir alles wissenschaftlich erklären können.

Doch zwischen 20 und 40 entfernte ich mich davon – eine Zeit, in der ich alle Autoritäten infrage stellte.

Sie sind zu ihm zurückgekehrt – weshalb?

Ich bin deswegen zum Glauben zurückgekehrt – bzw. der Glaube ist zu mir zurückgekehrt – weil ich in die Welt hinausgeblickt habe. Ich habe die Gesellschaft angeschaut und gemerkt: Irgendetwas fehlt. Nicht alles lässt sich wissenschaftlich erklären.

Hartmut Rosa, der Soziologe, spricht davon, dass sich unsere Gesellschaft in einem rasenden Stillstand befindet. Sie wird immer schneller, beschleunigt sich weiter – aber kommt nie dorthin, wo es schön ist.

Und wie hilft der Glaube weiter?

Ganz weltlich gesprochen: Die Kirche ist eine orientierende Instanz, eine Wertegemeinschaft. Es gibt nicht nur Missbrauchstäter. Auf der anderen Seite ist da diese nicht totzukriegende Hoffnung, dass das Leben einen Sinn hat, dass wir von Gott geliebt sind.

Sie sprechen über Hoffnung, Trost, Halt und Sinn. Gibt es das nicht auch in weltlichen Dingen – etwa in Freundschaften?

Wenn Sie sagen: «Ich bin ohne Gott glücklich und komme mit der Angst vor dem Tod zurecht» dann bin ich der Letzte, der Sie in die Kirche prügelt. Ich kann nur von mir sprechen: Mich tröstet es, zu glauben, dass der Tod nicht das Ende ist – und dass, wenn ich mich einsam fühle, jemand da ist, der mich sieht und erkennt.

Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger.

Buchhinweis

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Tobias Haberl: «Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe». btb Verlag, 2024.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 22.12.2024, 10:00 Uhr ; 

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