Das Programm ist locker. Der Notenabschluss ist vorbei. Die Jugendlichen der Einstiegsklasse sitzen zusammen mit ihrer Lehrerin Edita Nuredini im Kreis.
Auf den Stirnen kleben Post-it Zettel mit Tiernamen. Ratespiel: Welches Tier bin ich? «Bei einer Frage heisst es ‹Bin ich langsam?›, nicht ‹ich bin langsam?›», erklärt Nuredini. Satzstellung lernen, aber spielerisch.
Respekt vor geflüchteten Jugendlichen
Das Spiel helfe, sich die Regeln einzuprägen, sagt sie. Nuredinis Schülerinnen und Schüler kommen aus Afghanistan, Tansania, Italien – und seit März auch aus der Ukraine. «Beim Spielen können sie sich jenseits von Sprache ausdrücken und zeigen, wer sie sind.»
Nuredini hat die Einstiegsgruppe am Sekundarschulhaus Holbein in Basel vor den Fasnachtsferien übernommen. Anfangs waren es vier Schüler. Nun, seit dem Ukraine-Krieg, sind es elf Teenager zwischen 12 und 16 Jahren. «Ich bereite elf verschiedene Unterrichtseinheiten vor», erklärt sie.
Die Arbeitsbelastung sei hoch, aber das reue sie keine Sekunde. «Ich habe grossen Respekt davor, was die Jugendlichen in ihrem Alter leisten und meistern.»
«Ich lerne Deutsch, weil ich muss»
Zum Beispiel Maksym. In den Sommerferien wird er 16 Jahre alt. Seit März lebt er zusammen mit seiner Mutter, seiner Tante und Cousine in der Schweiz.
Kaum hier angekommen, wurde er eingeschult. Ob er gerne mehr Zeit fürs Ankommen gehabt hätte? «Es spielt keine Rolle, was ich denke. Ich weiss einfach, dass ich muss. Egal, ob ich will oder nicht.»
Diese Sätze sagt Maksym häufig. Auch auf die Frage, wie er sich zum Deutschlernen motiviere – zumal er nicht weiss, ob er auch in Zukunft in der Schweiz bleiben kann: «Ich lerne Deutsch, weil ich muss.»
Widerstand gegen die neue Sprache
Er versuche, alle Emotionen auszuschalten, erklärt er. In seiner jetzigen Situation müsse er alles dafür tun, um nicht von ihnen überflutet zu werden. Sein 21-jähriger Bruder, sein Vater und sein Grossvater mussten in der Ukraine bleiben.
Nuredini weiss, dass es für alle Jugendlichen in ihrer Klasse schwierig ist, sich auf die neue Sprache einzulassen: «Sie sind nicht freiwillig hier, wurden aus ihrem Alltag herausgerissen und mussten alles verlassen, was ihnen vertraut war.»
Der Alltag beginnt
Nuredini begleitet die Jugendlichen nun seit ungefähr vier Monaten. «Am Anfang sah man ihnen an, dass sie sich fremd und verloren fühlten», sagt sie. Sie hätten kein Wort gesprochen, keine einzige Frage gestellt.
Doch jetzt würden sie langsam Fuss fassen: «Nun wollen sie wissen, wo das Schwimmbad ist. Sie haben Freunde gefunden und beginnen, so etwas wie einen Alltag zu leben.»
«Journalisten wollen wissen, wie es mir geht»
Und Maksym? In den Sommerferien wird er 16. Damit ist er zu alt für die Einstiegsgruppe an der Sekundarschule Holbein. Er weiss noch nicht, wie es für ihn weitergeht. Zurzeit würden die Übertrittsfragen geklärt, heisst es vonseiten der Schulleitung.
«Ich versuche, in der Gegenwart zu leben und nicht an meine Vergangenheit und die Zukunft zu denken», sagt er. Er klingt abgeklärt, fast weise. Darauf angesprochen lächelt er: «Ich bin ein durchschnittlicher Junge aus einem Dorf in der Ukraine. Aber seit Kurzem wollen Journalisten wissen, wie es mir geht.»
Das eigene Leben ist plötzlich Teil der Nachrichten. Und Maksym versucht, sich aufs Deutschlernen zu fokussieren.