Wir leben in Zeiten dauerhafter News-Beschallung, tauchen ab in endlose Tiktok-Rabbit-Holes und sind ständig erreichbar. Kaum erstaunlich, dass sich viele Menschen nach «Digital Detox» sehnen – nach einem Verzicht oder einer Einschränkung ihres digitalen Medienkonsums.
Doch vergiftet uns das Smartphone tatsächlich, und können Verbote eine mögliche Lösung sein? Der Schweizer Bestsellerautor Rolf Dobelli und der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über die Gefahren von Social Media und unser Verhältnis zur Technologie.
SRF: Wie gehen Sie mit der News-Flut um, der wir tagtäglich ausgesetzt sind?
Rolf Dobelli: Ich vermeide sie. Zwölf Jahre lang habe ich keine News konsumiert, bis 2022 der Krieg in der Ukraine ausbrach. Seither schaue ich etwa fünf Minuten pro Tag in die Nachrichten, um zu sehen, ob etwas Relevantes passiert ist. Es geht – man kann ohne News leben.
Aber brauchen wir nicht verlässliche Berichterstattung, um die Welt zu verstehen?
Dobelli: Lange Formate – Bücher, längere Artikel, Vorträge – helfen uns dabei. Kurzfutter bringt uns nichts. Breaking News, Push-Nachrichten und Co. schaffen nur die Illusion des Wissens. Sie sind der «Zucker des Geistes».
Die Vernetztheit unserer Gesellschaft hat durchaus schöne Seiten. Youtube zum Beispiel ist eine gigantische Lernplattform.
Bernhard Pörksen: Ich erlebe da einen Wertekonflikt: Auf der einen Seite eine engagierte Weltzuwendung, die in permanente Selbstverstörung abstürzen kann. Auf der anderen Seite die selbstfürsorgliche Abgrenzung, die ins Digital-Detox-Spiessertum führt.
Haben die digitalen Medien also doch einen Wert?
Pörksen: Es braucht mehr Grauwerte in der Medienanalyse, nicht nur «Gut» und «Böse». Die Vernetztheit unserer Gesellschaft hat durchaus schöne Seiten.
Es geht mir nicht um die Abkehr von modernen Technologien, sondern um den Konsum von Schrott.
Ich denke da an den ungeheuren Informationsreichtum, von dem wir profitieren. Youtube zum Beispiel ist eine gigantische Lernplattform, die zu einer Art Bildungsrevolution geführt hat.
Dort werden aber auch gefährliche Inhalte verbreitet. Geht es bloss um den richtigen Umgang mit den Plattformen?
Dobelli: Erwachsene können vielleicht lernen, im Netz zwischen den intellektuellen Perlen und dem Bullshit zu unterscheiden. Dasselbe können wir aber nicht von Zwölfjährigen erwarten.
Sind Sie also für knallharte Verbote?
Dobelli: Ich bin für ein Social-Media-Verbot bis 16. Schaden kann das nicht! Es geht mir ja nicht um die Abkehr von modernen Technologien, sondern um den Konsum von irgendwelchem Schrott. Wir sehen die Auswirkungen auf die Hirnphysiologie der Jungen, die Depressionen und Angststörungen der «Gen Z».
Pörksen: Es braucht den doppelten Blick: Neben individuellen Entscheidungen wie «Digital Detox» sind systemische Regulierungen nötig. Aber ein Verbot ist unrealistisch.
Für Regierungen weltweit wird Tiktok aktuell zum Symbol für die Gefahren im Netz – weil es chinesisch ist? Wird hier eine Sorge um die Kinder politisch instrumentalisiert?
Pörksen: Ich denke, es geht um beides. Studien zeigen, dass es nach einer Installation der Tiktok-App 40 Minuten dauert, bis zum ersten Mal Fake News angezeigt werden.
Ich halte es für berechtigt, dass viele westliche Regierungen ihren Mitarbeitenden verbieten, Tiktok zu nutzen, weil sie Ausspähung befürchten. Desinformation ist ein mächtiges politisches Mittel – man denke nur an die Corona-Krise, die US-Wahlen 2016 oder den Brexit.
Das Gespräch führten Barbara Bleisch und Wolfram Eilenberger in der Sendung «Sternstunde Philosophie». Für die Onlineversion wurde es gekürzt und leicht angepasst.