In der Schweiz gibt es immer mehr Arztbesuche, seit Jahren steigt die Zahl an. Insbesondere bei jungen Leuten. Das zeigen die Zahlen der Schweizer Ärztegesellschaft FMH. Die Kosten pro Person in der Altersgruppe der 15- bis 35-Jährigen sind seit 2017 um zehn Prozent gestiegen. Mehr als bei allen anderen Altersgruppen.
Laut Arzt und FMH-Vorstandsmitglied Urs Stoffel machen zwar nach wie vor ältere Menschen den Grossteil der Gesundheitskosten aus: «Aber den Trend, dass sich mehr und mehr junge Erwachsene behandeln lassen, müssen wir im Auge behalten.»
Junge machen sich vermehrt Sorgen
Aber woher kommt diese Entwicklung? Junge Menschen sind mehr und mehr verunsichert, stellt Urs Stoffel fest. Sie würden sich Sorgen um die eigene Gesundheit machen. Ihr Gesundheitsbewusstsein habe sich verändert: «Man geht zum Arzt, nicht, weil man sich krank fühlt, sondern weil man wissen will, ob man wirklich gesund ist», sagt Stoffel.
Heute müsse man als Ärztin oder Arzt einiges an Überzeugungsarbeit leisten: «Manche Menschen wollen kaum glauben, dass mit ihnen alles in Ordnung ist.»
Trend bereits vor der Pandemie
Zum einen habe das mit der Pandemie zu tun. «Den Leuten wurde klar, dass wir alle krank werden können, egal wie jung oder fit wir sind», sagt Stoffel. In den Medien sei immer wieder thematisiert worden, dass auch junge Menschen von Langzeitfolgen betroffen sein können. Das habe sie massiv verunsichert. Dass sich 15- bis 35-Jährige vermehrt um ihre Gesundheit sorgen, sei jedoch ein Trend, der bereits vor der Covid-19-Pandemie eingesetzt habe.
Heute will man immer noch gesünder, noch fitter, noch besser sein.
Stoffel ist überzeugt, dass die Verunsicherung mit Social Media und der Internetnutzung zusammenhängt: «Die Gesundheit ist durch die sozialen Medien mehr in den Fokus gerückt.» Auf Instagram, TikTok und Co. boomt das Thema. Millionen von Menschen folgen Influencerinnen und Influencer, die allerlei Gesundheitsprodukte bewerben und die Ratschläge geben. Wie ernährt man sich gesund? Wie beugt man Krankheiten vor? Und wie lassen sich Beschwerden selbst heilen?
Laut dem Arzt kommt dazu, dass man sich online vergleicht: «Heute will man immer noch gesünder, noch fitter, noch besser sein.»
Auch Suchmaschinen nach Rat zu fragen, trägt laut Stoffel zur Verunsicherung bei. Wenn man «Kopfschmerzen» eingibt, spuckt Google über 46 Millionen Ergebnisse aus. Entweder hat man einfach zu wenig Wasser getrunken, Depressionen – oder einen Schlaganfall. Was denn nun?
Viele können Informationen nicht einschätzen
Eine Studie des Bundesamts für Statistik (BFS) kommt zum Schluss, dass ein Grossteil der Schweizer Bevölkerung Mühe hat, Gesundheitsinformationen einzuschätzen. Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) beziehen Patientinnen und Patienten heutzutage Gesundheitsinformationen hauptsächlich aus dem Internet oder aus den sozialen Medien. Dabei haben drei von vier Personen angegeben, dass sie überfordert sind, wenn sie einschätzen müssen, ob Quellen vertrauenswürdig sind oder nicht.
«Das Problem ist, dass wir nicht mit diesen vielen Informationen umgehen und sie nicht gewichten können», sagt Monika Reber. Sie ist Hausärztin und Vorstandsmitglied der Haus- und Kinderärzte Schweiz. Sie erlebt es immer wieder, dass Patientinnen und Patienten zuerst online nachschauen: «Ich höre jeweils von den schlimmsten Krankheiten, die die Leute im Netz gefunden haben.»
Ich erlebe es immer wieder, dass es Leuten wichtiger ist, was irgendwelche Leute auf Instagram sagen, als was ich als Ärztin sage.
Auch bei ihr sitzen vermehrt Patientinnen und Patienten im Untersuchungszimmer, die bei Influencerinnen und Influencern nach Rat suchen. Ihr Einfluss sei nicht zu unterschätzen: «Ich erlebe es immer wieder, dass es Leuten wichtiger ist, was irgendwelche Leute auf Instagram sagen, als was ich als Ärztin sage.»
Sich ständig mit Krankheiten, Symptomen und Ratschlägen zu umgeben, kann einem auf die Psyche schlagen: «Es kann dazu führen, dass besonders sensible oder unsichere Menschen exzessiv nach Auffälligkeiten bei sich suchen», sagt Reber.
Der Algorithmus passt an, welche Inhalte Nutzerinnen und Nutzer in den sozialen Medien sehen. Je mehr man nach einem bestimmten Thema sucht, desto mehr solche Inhalte werden einem angezeigt. Man läuft Gefahr, sich in etwas hineinzusteigern: «Ich habe Patientinnen und Patienten, die wochenlang weitersuchen, weil sie überzeugt sind, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Sie sehen nur noch das Negative, bis es ihnen dann wirklich schlecht geht», sagt Reber.
Positiver Austausch auf Social Media
Die sozialen Medien können aber auch einen positiven Effekt haben, betont die Ärztin: «Ich finde es generell eine gute Entwicklung, dass mehr über Gesundheit gesprochen wird.» Das könne besonders Menschen helfen, die beispielsweise von einer chronischen Krankheit betroffen seien. Man tauscht sich über die Diagnose aus – und fühlt sich dadurch weniger allein.
Auch Urs Stoffel sieht den Austausch im Internet nicht per se als schlecht an: «Die meisten Ratschläge, die man online findet, sind harmlos.» Als Beispiel nennt er Ernährungstipps. Dass man den Zucker in der Ernährung reduzieren oder mehr Proteine zu sich nehmen sollte, seien Dinge, die einem auch eine Ärztin oder ein Arzt raten würde.
Tipps von Laien können gemäss Stoffel jedoch auch gefährlich werden: «Zum Beispiel, wenn Influencer behaupten, eine ernst zu nehmende Krankheit durch eine Ernährungsumstellung geheilt zu haben.» Das könne dazu führen, dass man gesundheitliche Probleme verharmlost – und es im schlimmsten Fall verpasst, eine Krankheit rechtzeitig behandeln zu lassen.