Der Palliativmediziner Andreas Weber erlebt es immer wieder: «Spitäler bieten Patientinnen und Patienten Behandlungen an, ohne zu wissen, ob sie ihr Leben überhaupt verlängern wollen.» Er, der am Spital Wetzikon die Palliative Care leitet, hat es gerade letzte Woche wieder erlebt. Der Patient mit einem Tumor im Kopf kann sich nicht mehr ausdrücken und kann nicht mehr laufen. Der Tumor ist im ganzen Kopf, dennoch empfehlen die Fachleute eine Chemotherapie. Was sie nützt – darüber steht nichts.
Weber fragt nach. Die Fachleute sagen, die Chancen stünden nicht gut, dass der Patient nach der Chemotherapie wieder laufen und sich äussern könne. Seine Partnerin kommt nach einem Gespräch mit Weber deshalb zum Schluss: So macht es keinen Sinn mehr. Hätte Weber nicht nachgefragt, wäre der Patient weiterbehandelt worden.
Der Palliativmediziner sagt deshalb im «Club»: «Es ist wichtig, dass wir mit den Patientinnen und Patienten mehr sprechen.» Die Runde diskutiert mit Barbara Lüthi über die steigenden Gesundheitskosten, und obwohl die Gäste ganz unterschiedliche Interessen vertreten, gehen sie mit Weber in diesem Punkt einig.
Für ein Gespräch fehlt der Anreiz
Wie aber pariert der Spitaldirektor in der Runde Webers Vorwurf? «Ich sage ganz selbstkritisch: Ich bin über den Umsatz gesteuert, ganz klar», antwortet Kristian Schneider, CEO des Spitalzentrums Biel. Sein Zentrum müsse Leistungen erbringen, damit es das Personal bezahlen könne – so funktioniere das Gesundheitssystem. Er gibt Weber auch freimütig recht, dass man sich in Spitälern zu wenig Zeit für Gespräche nehme. Weshalb? Weil es keinen Anreiz dafür gebe.
Das zeigt auch eine Studie, die das Bundesamt für Gesundheit bereits 2016 veröffentlichte. Die Anreize sind so gesetzt, dass die Spitäler Interesse daran haben müssen, zu operieren – vor allem Patientinnen und Patienten, die privat und halbprivat versichert sind. Sie wurden etwa 2.2-mal häufiger am Knie operiert als allgemein Versicherte.
Weber folgert daraus: Man muss die Anreize so setzen, dass das Gesundheitspersonal sich bei jedem Patienten, bei jeder Patientin überlegt: Wie kann er oder sie umfassend informiert werden? Und welche Behandlung macht Sinn? In der Palliativmedizin sind diese Fragen zentral; in den letzten zwölf Monaten eines Lebens fallen bis zu 15-mal höhere Kosten an als im Durchschnitt. «Ich glaube tatsächlich, dass wir die hohen Kosten am Lebensende senken können, wenn wir die Patientinnen und Patienten besser informieren», so Weber. Es wäre auch zu ihrem Wohl.
Es gibt aber auch positive Beispiele. Michael Rubertus, der die Patientenorganisation SPO vertritt, stand dieses Jahr vor einer schwierigen Entscheidung: Soll er eine Krebsoperation über sich ergehen lassen? Oder sich auf eine Immuntherapie einlassen? Die Operation wäre tiefgreifend, der Spitalaufenthalt lang. Die Immuntherapie wäre einfacher, aber sie wird noch nicht lange angeboten. Er besprach sich eingehend mit seinen Ärztinnen und Ärzten und entschied sich schliesslich für die Therapie.
Zum Glück, wie er heute sagt. «Die Therapie hat bei mir angeschlagen.» Und gleichzeitig seien ohne Qualitätsverlust hohe Kosten vermieden worden. Das zeige: «Es zahlt sich aus, wenn man mit Patientinnen und Patienten redet – und nicht über sie.»