Die Kleinstadt Ajo im Süden Arizonas wirkt wie aus einem Film von Quentin Tarantino. Sie ist umgeben von einer weitläufigen Militärbasis, vom Land der Tohono O’odham Nation und dem Organ Pipe National Monument.
Ajo ist die letzte grössere Gemeinde vor der mexikanischen Grenze. Der Highway 85, von Norden kommend, bringt einen zur zentralen Plaza: ein im spanischen Kolonialstil gehaltener Platz, der von einstöckigen Gebäuden umrahmt ist.
Der Fotograf, der Amerika dokumentiert
Hier wartet an einem brütend heissen Tag Tom Kiefer. Geboren ist der Künstler, Fotograf und Grafiker im US-Bundesstaat Kansas. Seit 2001 lebt er in Ajo.
Sein Studio und sein Archiv liegen im ersten Stock, eine steile Holztreppe führt nach oben. Kiefer erzählt, dass er nach Ajo gezogen sei, um sich ganz aufs Fotografieren zu konzentrieren.
«Ich wollte Amerika dokumentieren», sagt er. «Und das ist auch irgendwie passiert. Aber anstatt rauszugehen, um die Bilder zu machen, kam Amerika hierher zu mir.»
Hunderttausend Habseligkeiten
In seinem etwa 30 Quadratmeter grossen Archiv stapeln sich die Gegenstände auf überladenen Tischen und Regalen. Doch alles ist an seinem Platz, so wie es Kiefer für seine Fotos braucht. «Wenn man alles zählt, dann sind es sicherlich Hunderttausende von Einzelstücken», meint er.
Dabei handelt es sich um Decken, Kleidung und Spielsachen, aber auch um Briefe und Fotos. All diese Gegenstände hat Kiefer in seinem ehemaligen Job gesammelt: Mehr als zehn Jahren war er Hausmeister in einer Border Patrol Station südlich von Ajo, einer Auffangunterkunft für Migrantinnen und Migranten.
«Potenziell Gefährliches» landet im Archiv
Für Kiefer hat alles mit Konserven angefangen, die die Menschen auf ihrem Weg durch die Wüste nach Norden bei sich hatten: «Alles wurde weggeworfen, ich fand das schrecklich. Man schmeisst doch kein gutes Essen weg.»
Kiefer ging zum Leiter der Station, fragte, ob er die Konserven zur lokalen Gassenküche bringen könne. Das wurde ihm erlaubt. «Als ich die Konserven aus den Containern fischte, waren da aber auch Bibeln, Rosenkränze, viele Familienfotos.»
Was immer die Grenzbeamten von den Habseligkeiten der Migrantinnen und Migranten als «unnötig» oder «potenziell gefährlich» einstuften, landete in den Müllcontainern. Es war fast alles, was sie bei sich hatten. Kiefer nahm es mit zu sich, sein Archiv wuchs Tag für Tag.
Schlichte Bilder, tiefe Bedeutung
Die Gegenstände des Archivs fotografiert Kiefer. Mit seinen Bildern der Geldbörsen, Schnürsenkel, Schuhe, Rucksäcke, Haarbürsten und Jeanshosen dokumentiert er feinfühlig und respektvoll.
Sein Foto-Projekt nennt Kiefer «El Sueño Americano / The American Dream». Auf den Bildern liegen die Gegenstände einfach nebeneinander, sind aufgereiht, aufgestapelt.
Die stillen und unaufgeregten Fotos bilden nur Objekte ab und wirken oftmals wie ein Werbebild. Tatsächlich aber zeigt Kiefer damit, was Migration – ein für viele weit entferntes Thema – eigentlich ist: eine Geschichte von ganz normalen Menschen auf ihrem Weg in ein hoffentlich besseres Leben.
Gegen die Zeit
Tom Kiefer hat über die Jahre Hunderte solcher Fotos gemacht. Und er ist noch lange nicht fertig mit seiner Dokumentation.
Doch ihm läuft die Zeit davon. Er hat Parkinson, was seine Balance und Mobilität sichtlich beeinflusst. Er hofft auf Hilfe von aussen, sagt aber auch: «Ich mache weiter, bis es nicht mehr geht.»