Die Geschichten von Trump und Harris sind literarische Texte und haben mit wenig mit realer Politik zu tun, sagt Elisabeth Bronfen. Und wie liest sie Taylor Swifts berühmten Katzen-Post? Die Kulturwissenschaftlerin über die Narrative einer Nation, die keine Geschichte mehr eint.
SRF: Kamala Harris redet viel über ihre Mutter, Donald Trump schimpft auf Einwanderer. Im US-amerikanischen Wahlkampf scheint jedes Wort einstudiert.
Elisabeth Bronfen: Man muss das als theatrale Politik verstehen. Die grossen Rallies, die Debatten im TV, die Kommentare darauf. Die USA brauchen Geschichten, die sie vereinen. Aber im Moment gibt es die nicht.
Trump und Harris verkörpern verschiedene Narrative.
Die Republikaner haben ein Narrativ, die Demokraten ein anderes. Sie werden durch Trump und Harris verkörpert.
Welche Geschichten sind das?
Man könnte Trump einen Schurken nennen. Ich sehe ihn eher als Comic-Figur, wie den Joker in «Batman». Dazu passen die Korruption, der Witz, die Brutalität und die Bösartigkeit. Geknüpft daran ist die Erzählung: Amerika ist in einem desolaten Zustand.
Der Höhepunkt davon wäre Captain Ahab aus «Moby Dick»: Dieser ist bereit, das ganze Land – in seinem Fall das Schiff – in den Untergrund zu ziehen. Das kann man analog zu Trumps «Weissem Wal» sehen. Für ihn sind das die Immigranten, die «zerstört werden müssen».
Welche Geschichte erzählt Kamala Harris?
Ihre Story ist viel amerikanischer. Man scheitert – und muss sich wieder aufrichten. Deswegen wird oft betont: Kamala Harris ging nicht sofort an die Law School. Sie hat nicht den besten Abschluss gemacht. Aber sie setzt sich trotzdem immer wieder durch.
In den USA, die sie verkörpern will, läuft vieles schief. Man redet von «Broken City». Aber das, was nicht gut ist, wird repariert: «We will fix it». Es ist dieser Optimismus, von dem Tim Walz sagte: Kamala Harris bringe Freude in die Präsidentschaftskampagne.
Trumps Erzählung ist apokalyptisch, jene von Harris zuversichtlicher.
Trumps Erzählung liebt also das Apokalyptische, die Zerstörung und die Gewalt. Die Erzählung von Harris ist hingegen der Versuch, mit Freude nach vorne zu schreiten. Beides sind literarische Texte, absolut «gescriptet». Mit realer Politik hat es wenig zu tun.
Ein literarischer Wahlkampf?
Unbedingt. Das setzt sich bei den Unterstützerinnen fort. Nehmen wir Taylor Swift. Sie ist eine Milliardärin, die aber das Gefühl «Girl next door» transportiert. Ihre gigantische Fangemeinde kennt nicht nur alle Songs auswendig, sondern auch die Vernetzungen dazwischen: Sie denken in der poetischen Sprache von Swift und benutzen das auch in den Argumenten miteinander.
Mir ist auch aufgefallen, dass die Katze, mit der sich Taylor Swift in ihrem berühmten Post nach dem Duell gezeigt hat, einen literarischen Namen hat: «Benjamin Button» wie im Roman von F. Scott Fitzgerald.
Wie lesen Sie Taylor Swifts Post mit der Katze?
Das inszeniert einerseits wieder eine Comic-Figur: «Cat Woman». Andererseits erinnert es mich an die Madonnenbilder von Bellini, wenn sie die Katze liebevoll im Arm hält. Das vermittelt das Gefühl, dass Taylor Swift hier etwas Wichtiges tut. Die klaren, blauen Augen der Katze. Es ist ja eine Kritik, eine Herausforderung an J.D. Vance, der auch blaue Augen hat.
Ein Verweis auf Vances «Childless Cat Ladies».
Eine entscheidende Frage im Wahlkampf – neben den Immigranten – sind die Frauen und ihre Körper. Haben sie das Recht, sich für oder gegen Abtreibungen auszusprechen? Nun hat Melania Trump ein Buch veröffentlicht, in dem sie sich für Abtreibung ausspricht. Wir merken, wie sehr der Wahlkampf auch ein Geschlechterkampf ist.
Das Gespräch führte Jennifer Khakshouri.