Die ehemalige First Lady spricht sich in ihrem neuen Buch und in einer Videobotschaft auf X für das Recht auf Abtreibung aus. Frauen sollten das Recht haben, ohne Einmischung oder Druck der Regierung, selbst zu entscheiden, schreibt sie. Dabei will ihr Mann, Donald Trump, kein nationales Recht auf Abtreibung. Inwiefern dürften die Aussagen seiner Frau den Wahlkampf von Donald Trump einen Monat vor der Wahl noch aufmischen? Der USA-Experte schätzt die Lage ein.
SRF News: Was bezweckt Melania Trump mit diesen Aussagen?
Thomas Jäger: Das kann mehrere Gründe haben. Zum einen hat sie jetzt dieses Buch auf dem Markt. Könnte das also Werbung sein? Es könnte aber auch sein, dass sie damit versucht, ein Image aufzubauen, indem sie sagt: «Es gibt Differenzen mit meinem Mann. Ich habe meinen eigenen Kopf.» Vielleicht versucht sie aber auch auf diese Art und Weise, ihrem Mann dabei zu helfen, dieses Thema ein wenig in den Griff zu bekommen. Denn wenn es um Abtreibung geht, steht Donald Trump bei den Frauen ganz schlecht da.
Eigentlich nimmt Melania Trump eine Position ein, die Frauen dazu bringen müsste, die Demokratin Harris zu wählen.
Viele Wählerinnen und Wähler der Republikanischen Partei lehnen die Abtreibung grundsätzlich ab. Gleichzeitig befürwortet eine Mehrheit in den USA die Abtreibung im frühen Schwangerschaftsstadium. Inwiefern ist das ein Problem für den Republikaner Trump?
Es ist ein sehr grosses Problem. Trump hatte seiner Kernwählerschaft versprochen: «Ich werde das Thema auf den Tisch bringen. Der Supreme Court wird die bundeseinheitliche Regelung, die über Jahrzehnte besagt hat, dass es ein Recht auf Abtreibung gibt, vom Tisch fegen.» Und mit der Besetzung des Supreme Court, des Obersten Gerichts der USA, hat er Wort gehalten.
Er dachte, damit sei das politische Problem gelöst. Aber das hat nicht funktioniert. Die Bundesstaaten haben zum Teil sehr restriktive, zum Teil eher lockere Gesetze. Trump wird das Thema also nicht los. Drei Viertel der Frauen wollen ein einheitliches Gesetz in den Vereinigten Staaten.
Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Wahlen. Sollte es sich tatsächlich um Wahlkampftaktik von Melania Trump handeln – wie erfolgreich kann eine solche Taktik jetzt noch sein?
Es wird sich zeigen, inwieweit die Aussagen von Melania Trump wirklich durchdringen. In den USA wird bereits gewitzelt, dass nachdem die Republikanerin Liz Cheney, Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten, Harris ihre Unterstützung zugesagt hat, Melania Trump die Nächste sei. Und ein Fünkchen Wahrheit steckt da schon drin: Denn eigentlich nimmt Melania Trump eine Position ein, die Frauen eigentlich dazu bringen müsste, die Demokratin Harris zu wählen.
Vor vielen Jahrzehnten wurde beim Thema Abtreibung ein Kompromiss gefunden, der aber nicht mehr hält.
Woher kommt der Widerstand gegen die Abtreibung? Warum ist das Thema politisch so aufgeladen?
Vor vielen Jahrzehnten wurde bei diesem Thema ein Kompromiss gefunden, der aber, wie so viele Kompromisse in der amerikanischen Politik und Gesellschaft, nicht mehr hält. Mittlerweile gibt es eine starke Polarisierung: Auf der einen Seite stehen die Demokraten, die für liberalere Abtreibungsgesetze eintreten, und auf der anderen Seite die Republikaner, bei denen es einen erheblichen Anteil von Anhängerinnen und Anhängern gibt, die überhaupt keine Möglichkeit der Abtreibung zulassen wollen – also auch nicht bei Inzest oder Vergewaltigung.
Wie entscheidend ist das Thema Abtreibung für die Wahl?
Am Ende werden es in den Swing States einige tausend Stimmen sein, die darüber entscheiden, wer welche Wahlleute zugesprochen bekommt. Die Frauen in den Vorstädten sind dabei eine wichtige Zielgruppe. Am Ende könnten sie den Unterschied machen.
Das Gespräch führte Nico Bär.