Wodurch zeichnet sich Schweizer Pioniergeist aus? Durch technische Machbarkeit. Das zumindest ist eine Erkenntnis wie auch Problematik, die sich dem Roman «Afrika Fluten» von Christoph Keller entnehmen lässt. Eine dystopische Erzählung, die den grössenwahnsinnigen Plan, das Mittelmeer um 100 Meter abzusenken, in all seiner Absurdität aufzeigt.
Projekt Atlantropa – Energie vom «Einheitskontinent»
Interessant dabei: Die selbstüberzeugten Avantgardisten, den deutschen Architekten Herman Sörgel und den Schweizer Ingenieur Bruno Siegwart, hat es wirklich gegeben.
Das Vorhaben rankt sich um die Idee, den afrikanischen Kontinent als Energiequelle zu nutzen. Damit die europäische Industrie ausreichend mit Wasser versorgt ist, soll das Mittelmeer mit Staudämmen vom Atlantik abgeriegelt werden. Durch Verdunstung sinkt der Wasserspiegel, Turbinenparks an den Staudämmen erzeugen Elektrizität. Europa und Afrika würden zusammenwachsen. «Atlantropa» wäre geboren. Die Kosten? Die Überflutung grosser Landstriche afrikanischer Staaten.
Welche Schlüsse lassen sich aus diesen vergangenen Visionen und Plänen, die unter Schweizer Flagge ausgetüftelt wurden, ableiten? Was erzählen sie uns über ein Schweizer Selbstverständnis? Über eine Selbstverortung in der Welt?
Hybris sondergleichen, versteckter Rassismus
«Mich hat fasziniert und interessiert, dass hier eine technische Vision entwickelt wurde, ohne jede Rücksicht auf existierende Geographien, soziale, kulturelle und politische Zusammenhänge in diesem Mittelmeerraum», sagt Christoph Keller.
Denn obwohl Ingenieur Siegwart berechnet, dass nach Ende der Verdunstung im Mittelmeer der weltweite Meeresspiegel um knapp vier Meter steigen und so ganze Städte und Landschaften geflutet würden, rückt er von seinen Plänen nicht ab. «Dieser sehr nüchtern rechnende Schweizer Ingenieur hat schon mit einer unglaublichen Hybris zu tun. Das hat mich sehr überrascht.»
Männer, die die Welt neu ordnen. Das hat es in der Geschichte öfter gegeben. Auch die Schweiz war an kolonialen Phantasmen sowie an deren Umsetzungen beteiligt. «Sobald wir auch auf die technische und wirtschaftliche Dimension schauen, gibt es eine immense Verwicklung der Schweiz in koloniale Abenteuer», sagt Keller. Er spricht von einem «versteckten und manchmal manifesten Rassismus», der den «Atlantropa»-Plan stützt.
Der ideologische Promoter Sörgel schickte seine Pläne für eine erneute Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents 1928 an Siegwart. Denn «Atlantropa» sollte wie folgt funktionieren: «Der Norden gibt die Technik in den Süden, der die Rohware liefert», sagt Keller.
Diese Perspektive beeinflusse bis heute Schweizer Politik und Sichtweisen. Als Beispiel nennt der Autor die Minenprojekte des Unternehmens Glencore und die Finanzierung fossiler Infrastruktur durch die UBS.
«Wir leben in einer klimakolonialen Zeit»
Was kann man also aus solch vergangenen und – man muss sagen – zum Glück gescheiterten Visionen lernen? Christoph Keller meint, dass die internationalen Konzernzentralen der heutigen Zeit sich nicht allzu gross von den für «Atlantropa» vorgesehenen Zentralregierungen unterscheiden.
«Wir sind in einer klimakolonialen Zeit angekommen, in der wir uns den Luxus leisten, alles Mögliche zu tun, ohne auf den Süden Rücksicht zu nehmen.» Debatten über eine (post-)koloniale Schweiz sollten ihm zufolge in Hinblick auf die Klimakrise vertieft werden.