Kürzlich habe ich mir die Kupferspirale einsetzen lassen. Den Schmerz fürchtete ich. Als mir die T-förmige Spirale durch den Muttermund in die Gebärmutterhöhle eingeführt wurde, fühlte ich eine Stichflamme in meiner Körpermitte.
Meine Freundinnen sagten: «Schon schlimm.» Stärkere Periodenschmerzen sind danach möglich, dafür hat man fünf Jahre Ruhe, statt sich Gedanken über Verhütung machen zu müssen. Wenn sie das aushielten, dann ich ja wohl auch. Gegenüber meiner Frauenärztin wollte ich nicht die Wehleidige sein. Ich dachte: Andere überstehen schliesslich Geburtsschmerz.
Ich war froh, nicht in Ohnmacht zu fallen.
Der Gender-Pain-Gap
Was halten wir Frauen da eigentlich alles aus? Wieso übergehen wir Schmerz, werten ihn ab oder nehmen ihn hin? Das hat sich auch Eva Biringer in ihrem aktuellen Buch «Unversehrt. Frauen und Schmerz» gefragt. Darin untersucht die Journalistin den «Gender-Pain-Gap». Dieser besagt, dass «weiblicher Schmerz» anders bewertet wird als männlicher.
«Über Jahrtausende hat sich die Annahme verfestigt, Frauen seien empfindlicher, obwohl sie schon von Natur aus mit gewissen Schmerzen konfrontiert sind und sie aushalten müssen», schreibt sie. Sie müssten viel entschiedener auf ihren Schmerz hinweisen und liefen dann Gefahr, als «hysterisch» zu gelten.
Dem gegenüber steht das Bild des «starken Mannes», der seinen Schmerzen weniger Ausdruck verleiht. Und wenn er sich meldet, dann muss es schlimm sein.
Biringers Essay hangelt sich entlang einer Entdeckung, die den Umgang mit «weiblichem Schmerz» enttarnt: «Ein betroffener Mann bekommt Schmerzmittel. Eine Frau etwas für die Nerven.»
Frauen erhalten weniger Schmerzmittel ...
Eine viel beachtete Studie zeigt, dass Frauen in der Notaufnahme weniger Schmerzmittel als Männer bekommen und im Schnitt 30 Minuten länger auf Hilfe warten.
Eine andere, gerade erschienene Studie der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel verdeutlicht, dass Frauen nach einem Herzstillstand häufiger sterben, da sie seltener auf die Intensivstation kommen. Erforscht ist auch, dass Schwarzen Frauen geringere Schmerzen attestiert werden – aufgrund der rassistischen Annahme, dass sie robuster seien.
Die Wissenschaft ist sich also grösstenteils einig, dass Frauen im Notfall weniger Schmerzmittel und Therapien erhalten als Männer.
... und mehr Beruhigungsmittel
Aber zweifelt man auch ihren Verstand an, indem man ihnen grosszügig psychische Probleme attestiert?
Meine Erfahrung dazu: Über ein Jahr suchte ich nach einer Diagnose für meine geröteten Augen und starken Kopfschmerzen. Immer wieder fragten mich Ärzte: Haben Sie Stress? Haben Sie mal über eine Therapie nachgedacht? Natürlich hatte ich Stress, immer aufs Neue mein diffuses Leiden zu erklären. Letztlich erkannte man Herpesviren aufgrund einer zurückliegenden Infektion, die mit einem aggressiven Anti-Viren-Präparat behandelt werden mussten.
Schmerzen werden bei Frauen schnell zu etwas Psychischem stilisiert, schreibt Biringer. Neu ist das nicht. Bereits Platon erklärte Frauen aufgrund ihrer Gebärmutter – altgriechisch: Hysteria – für verrückt.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass Frauen nach Operationen eher Beruhigungsmittel und Männer eher Schmerzmittel verschrieben bekommen.
Tatsächlich beziehen in der Schweiz vergleichsweise mehr Frauen (65 Prozent) Antidepressiva als Männer (35 Prozent). «Frauen erhalten häufiger Psychopharmaka und erleiden doppelt so oft Nebenwirkungen, während Männer deutlich häufiger Suizid begehen», sagt Christine Bigler, Geschlechterforscherin an der Universität Bern.
Gendermedizin statt Bikinimedizin
Wenn bei Frauen öfters und fälschlicherweise Depressionen und bei Männern wiederum zu wenige erkannt werden, ist das auch ein Problem mangelnder Forschung.
Der Ausdruck Bikinimedizin beschreibt eine Heilkunde, die bei weiblichen Beschwerden zunächst an die Geschlechtsorgane denkt. Der Rest des Körpers entspricht dem eines kleinen Mannes. Dieser Blickwinkel entstand, weil Männer jahrhundertelang nur an Männern forschten.
Das neuere Forschungsgebiet der Gendermedizin strebt eine optimale medizinische Versorgung für alle Geschlechter an. Daraus hervorgehende Erkenntnisse helfen, «weiblichen Schmerz» medizinisch und im Kontext soziokultureller Faktoren besser zu verstehen.
«Wenn wir Gesundheit anschauen, müssen wir immer das biologische und das soziale Geschlecht anschauen», betont Christine Bigler. Mit Blick auf den biologischen Körper beeinflussen beispielsweise Hormone, wie Medikamentenwirkstoffe im Körper umgewandelt werden. Das wird erst seit einigen Jahren berücksichtigt. Auch weil man lange Zeit behauptete, es sei zu kompliziert, den weiblichen Zyklus in Studien miteinzubeziehen.
Mithilfe des Konzepts Gender, also dem gelebten und gefühlten Geschlecht, können Zuschreibungen an Frauen und Männer und soziale Rollen benannt werden. So wird vermutet, dass der Grund, warum Frauen häufiger eine Rehabilitation abbrechen, darin liegen könnte, dass sie sich in der Regel um die Kinder oder kranke Angehörige kümmern müssen, sagt Bigler.
Ebenso würden bei Männern, weil sie nicht darüber sprechen, weniger Depressionen erkannt.
10 Jahre bis zur Endometriose-Diagnose
Dass Frauen ihre Schmerzen still akzeptieren, kenne ich auch aus meinem Umfeld. Wenn bei meiner Freundin die ersten Anzeichen der Periode fühlbar sind, setzt bei ihr ein routinierter Notfallplan ein. Schmerztablette, Bettflasche, Rückzug. Die Schmerzen zwingen sie manchmal mehrere Tage ins Bett. Sie vermutet: Endometriose.
Je nach Schätzung leiden zwischen 8 und 15 Prozent der Frauen an Wucherungen, die ausserhalb der Gebärmutter anwachsen und oft unter starken Schmerzen abgestossen werden. In der Schweiz soll jede zehnte Frau betroffen sein.
Endometriose ist bislang nicht heilbar. Die Symptome sind von Frau zu Frau unterschiedlich. Warum es sie gibt? Man weiss es nicht. Eine weitere Forschungslücke im Bereich «Frauenkrankheiten».
Medizin muss gerechter werden
Meine Freundin weiss bis heute nicht, ob sie an Endometriose leidet. Für eine sichere Diagnose müsste sie eine Bauchspiegelung im Spital durchführen lassen. Die Kostenübernahme durch Krankenkassen ist nicht garantiert.
Frauen werden in der Medizin systematisch benachteiligt. Und auch wir selbst wollen oft nicht dem Klischee der leidenden Frau entsprechen. Infolgedessen werten wir den eigenen Schmerz ab, verdrängen ihn.
Alle Expertinnen, die in diesem Text zu Wort gekommen sind, sind sich einig: Die Medizin muss gerechter werden. Es braucht mehr Begriffe, Schmerzerfahrungen von Frauen zu benennen. Sie müssen mehr gehört werden. Damit sich Frauen, aber auch queere und nicht-binäre Menschen trauen, ihren Erfahrungen Ausdruck zu verleihen.
Was meine neue Gefährtin, die Kupferspirale, angeht: Wir haben uns gut arrangiert. Trotzdem hoffe ich sehr, dass es bald mehr Verhütungsmittel für den Mann gibt.