«Ich hatte Atemnot, Herzrasen und war überzeugt: Jetzt sterbe ich!» Wenn sich Anna-Lena Rüfli heute an ihre Panikattacken erinnert, tut sie dies ruhig und überlegt. Sie hat inzwischen gelernt, mit ihrer psychischen Erkrankung umzugehen.
Doch der Leidensweg war lang: Fünf Jahre lang wusste sie nicht, was mit ihr los war: «Ich dachte, ich verliere meinen Verstand.» Die Attacken kamen unvermittelt – im Bus, beim Einkaufen, zu Hause im Bett, unter der Dusche.
Anna-Lena Rüfli begann, die Orte zu meiden. Der Alltag wurde immer schwieriger. «Ich war derart tief in einem Loch, dass ich den Sinn des Lebens nicht mehr gesehen habe», erzählt sie.
Es hörte nicht auf
Dass sie an einer psychischen Störung leidet, realisierte Anna-Lena Rüfli lange nicht. In ihrem Elternhaus wurde darüber nicht gesprochen. Auf dem Notfall, den sie immer wieder aufsuchte, wurde sie körperlich durchgecheckt und mit Beruhigungsmitteln nach Hause geschickt.
Einen Namen für meine Probleme zu haben, war eine Erlösung.
Erst als sie sich der Panik bei der Arbeit nicht mehr entziehen konnte, ging sie zum Hausarzt – der schickte sie zur Psychiaterin. «Es war eine Erlösung», sagt Anna-Lena Rüfli rückblickend.
Nach Corona die Angst-Pandemie
Angst- und Panikstörungen haben bei jungen Frauen in den letzten Jahren massiv zugenommen. Jede dritte bis vierte junge Frau gibt an, unter Angstsymptomen zu leiden.
Die Unsicherheit während der Corona-Pandemie kann den Anstieg zum Teil erklären, aber auch höhere Anforderungen in der Schul- und Arbeitswelt. Die sozialen Medien spielen ebenfalls eine Rolle, sagt Kerstin von Plessen, Leiterin der psychiatrischen Abteilung des Universitätsspitals Lausanne. «Die Auswirkungen von Cybermobbing sind gravierender als jene von Mobbing in der realen Welt.»
Erste Hilfe für die Psyche
Zudem sei es wissenschaftlich erwiesen, dass psychisch ungesundes Verhalten bei Gleichaltrigen, die dafür anfällig sind, ebenso zu psychischen Problemen führen kann. Ein besonderes Augenmerk gilt deshalb den Teenagern. Sie müssen befähigt werden, mit den Angststörungen ihrer Freundinnen und Freunde umzugehen – um sich nicht anzustecken.
Pro Mente Sana bietet daher Nothelfer-Kurse für Teenager an, um die Zeichen für ein psychisches Problem bei sich und im Freundeskreis zu erkennen, und dieses korrekt anzusprechen. Sie erfahren aber auch, wann der Zeitpunkt gekommen ist, sich externe Hilfe zu holen – etwa, wenn sich die Freundin etwas antun will.
Betroffene helfen Betroffenen
Anna-Lena Rüfli hätte sich gewünscht, dass eine Freundin sie auf ihre Probleme angesprochen hätte. Fünf Jahre lang hielt sie die Panikattacken für sich. Nach der erlösenden Diagnose und der ersten Gesprächstherapie folgte ein Zusammenbruch – und ein Klinikaufenthalt.
Ich musste mein Gehirn neu programmieren.
Dort lernte sie, mit den Panikattacken umzugehen, sie zu erkennen und gegenzusteuern, etwa mit Atemübungen. «Ich musste mein Gehirn neu programmieren», wie sie sagt.
Geholfen hat ihr dabei auch eine «Peer», eine ehemalige Betroffene, die in der Klinik gezielt eingesetzt wurde, um andere Betroffene zu unterstützen. «Ihre Tipps konnte ich besser annehmen als jene der Therapeutinnen und Therapeuten», sagt Anna-Lena Rüfli rückblickend.
Auf dem Weg zur «Peer»
Nach dieser Erfahrung beschloss sie, selbst «Peer» zu werden. Die Ausbildung schloss sie im Sommer ab. «Nun möchte ich das Wissen vertiefen und ein bis zwei Tage in der Klinik arbeiten», sagt sie.
Ihre Panikstörung sei nicht verschwunden. «Sie ist meine konstante Begleiterin, aber ich sage, wo’s lang geht.»