Ein Metzgermeister am Ende eines langen Berufslebens. Ein stolzer Berufsmann, aber auch abgekämpft. Er hat sich aufgeopfert für den Familienbetrieb, eine Nachfolge ist nicht in Sicht. Und da sind die schlaflosen Nächte, die Albträume. Der Comicfigur «Metzger Erwin» erscheinen all die Tiere, die er auf dem Gewissen hat.
«Erwin ist mein Ventil, meine Projektionsfläche», sagt Martin Oesch. «Er stellt sich die gleichen Fragen, die ich mir auch gestellt habe: Dürfen wir Fleisch essen? Dürfen wir Tiere töten? Warum holzen wir den Amazonas ab, damit wir billiges Rindsfilet essen können?»
Der Metzger Erwin hat Züge vom Illustrator
Martin Oesch ist selbst gelernter Metzger. Später hat er an der Kunsthochschule Luzern Illustration studiert. Nun arbeitet er an seiner ersten Graphic Novel. Arbeitstitel: «Blut an den Händen».
Darin sucht er zeichnerisch nach einem Weg, um die Ambivalenzen und Kontroversen rund um die Fleischindustrie und unseren Fleischkonsum zu illustrieren, zu erzählen.
Metzgermeister Erwin ist ein «Gmögige». Wortkarg, sensibel und nachdenklich. Mit blutverschmierter Schürze. «In Metzgereien gibt es viele spannende und originelle Figuren», so Oesch. Erwin habe Züge seiner früheren Chefs, aber auch von Martins Vater – und ihm selbst.
Zwischen Handwerkskunst und Fliessband
Zweifel und innere Konflikte kennt Martin Oesch gut. Er hat immer gerne als Metzger gearbeitet. Hochwertige Nahrungsmittel herzustellen, die Kunst des Räucherns, Salzens und Haltbarmachens, das fasziniere ihn: «Es ist ein Stück Kultur und ein Kunsthandwerk, das ich erhaltenswert finde.»
Er mag das Handwerk, aber er hadert mit der Fleischindustrie.
Ich will Bewusstsein schaffen für den Beruf, für die Branche und die Leute, die dahinterstehen.
«Wir konsumieren zu viel Fleisch. Viele Tiere führen ein trostloses Leben. In den grossen Schlachthöfen wird im Akkord getötet und die Menschen, die an den Fliessbändern arbeiten, machen acht Stunden am Tag, monoton einen einzigen Schnitt.»
Das unbekannte Massenprodukt
Pro Kopf konsumieren wir in der Schweiz rund 50 Kilo Fleisch. Dafür schlachten Metzger und Metzgerinnen in der Schweiz jährlich rund 82 Millionen Tiere.
Fleisch ist längst ein Massenprodukt. Und trotzdem wüssten erstaunlich viele Leute erstaunlich wenig über Fleisch. Weder über das Handwerk noch über die Fleischindustrie.
«Stimmt es, dass in Cervelats auch Augen drin sind? Wie bitte, für die Milchproduktion müssen Kälber sterben?» Mit solchen Fragen sieht sich Martin Oesch immer wieder konfrontiert.
Sein Comicbuch soll auch aufklären. «Ich will Bewusstsein schaffen für den Beruf, für die Branche und die Leute, die dahinterstehen.»
Fleischgenuss – aber bewusst
Ob die Leute nach der Lektüre des Graphic Novel noch Fleisch essen, damit aufhören oder wieder damit anfangen, sei ihm egal. «Hauptsache, sie treffen eine bewusste Entscheidung.»
Zum Beispiel, was sie an Weihnachten essen wollen. Dazu hat Martin Oesch ebenfalls eine Kurzgeschichte gezeichnet, auch eine Episode aus dem Leben von Metzgermeister Erwin. Veröffentlicht in der Dezemberausgabe des Comicmagazin «Notbremse».
Wenn eine Kuh geschlachtet wird, schüttelt mich das noch heute durch.
Während die meisten Menschen das ganze Jahr über ihr Fleisch beim Grossverteiler kaufen, erinnern sich die Leute pünktlich zu Weihnachten daran, dass es auch noch den lokalen Metzger gibt.
«Dann rennen alle gleichzeitig in die Metzgerei von Erwin und wollen Chinois und den kleinen Laden unterstützen.» Die Folgen seien aber paradox. «Erwin muss dann zusätzlich Fleisch bei der Industrie zusammenkaufen, weil er sonst die Nachfrage nicht decken kann. Sprich: Einmal im Jahr zum Dorfmetzger spielt letztlich auch wieder der Industrie in die Hände.»
In der Schweiz schliesst im Schnitt eine Metzgerei pro Woche. Häufig trifft es die kleinen Dorfmetzgereien und familiengeführte Betriebe. Es fehlt an Kundschaft und an Nachwuchs.
Metzger aus Leidenschaft
Für Martin Oesch war es in seiner Jugend klar, dass er eine Metzgerlehre machen will. Er hat schon in der Oberstufe seine eigenen «Chüngel» gemästet und geschlachtet. Beim Brunnen vor dem Haus. «An dem Nachmittag ist niemand zum Spielen zu mir gekommen.»
Das Schlachten gehörte selbstverständlich dazu. «Aber meine Chüngel waren Freilaufchüngel, bis zuletzt mit ihren Gspänli zusammen, ohne Tiertransport. Ich bin überzeugt, die waren glücklich.»
Die Metzgerlehre hat Martin Oesch gefallen. «Ich hatte einen guten Lehrmeister, mit einer Berufsethik, die mir imponiert hat.» Beim ersten Mal im Schlachthof musste er allerdings fast erbrechen: Hitze, Dampf, Blut – ein intensiver Geruch.
Alle, die Fleisch essen, sollten mal bei einer Schlachtung dabei sein, findet Martin Oesch. «Wenn eine Kuh geschlachtet wird, dann schüttelt mich das noch heute durch. Das sind wunderschöne Tiere, denen das Leben zu nehmen, das braucht schon was.»
Heute hilft Martin Oesch nur noch selten aus in der kleinen Bio-Metzgerei «La Boulotte» in Bern, die er 2018 mitgegründet hat. Jetzt konzentriert er sich voll auf den Beruf als Illustrator und seine Graphic Novel, die nächstes Jahr erscheinen wird.
Und die Grundsatzfrage: Dürfen wir Tiere töten? «Ich bin überzeugt, dass wir Tiere töten und essen dürfen, sofern die Bedingungen stimmen. Aber es kann sein, dass ich das irgendwann mal anders sehe.»