Dieser Beitrag soll weder Fleisch verteufeln noch sagen, was gut oder schlecht ist. Er soll zum Nachdenken anregen über den Umgang mit Nutztieren, bis sie zum Steak, zur Bratwurst oder zum Grillspiess werden.
Casting bei Grilleuren
Wir machen ein Experiment und fragen an Grillstationen Menschen, was sie bräteln und warum sie dieses Stück ausgewählt haben. «Ich mache mir nicht so viele Gedanken, ich schaue eher auf den Preis.» Das sagen uns viele. Andere schauen darauf, dass das Fleisch aus der Schweiz kommt. Allerdings gilt auch hier oft die Devise: «Gluschtig» und günstig solle es sein.
Doch für unser Experiment suchen wir nicht nur Menschen, die über ihren Fleischkonsum sprechen, sondern vor allem solche, die eine Hofschlachtung miterleben oder einen Schlachthof besichtigen möchten. Das ist schwieriger. Viele haben Mitleid mit den Tieren und Angst, dass sie nachher das Fleisch nicht mehr geniessen können. Woher etwa das Lammfleisch kommt, wollen viele lieber nicht wissen. Dass die Grillade einmal ein herziges, flauschiges Tier war, ist für viele eine schwierige Vorstellung. Dann machen sechs Personen mit. Sie wollen sich damit auseinandersetzen, wie aus einem Rind ein Entrecôte wird.
Können wir ein Tier töten, nachdem wir es gestreichelt haben?
Das Experiment wird auf dem Biohof von Florian und Nicole Schweer sowie im Zentralschlachthof Hinwil stattfinden. Wie für viele Bauern ist für Florian Schweer selbstverständlich, dass Fleisch vorher ein Tier war. Auch Rind Lori, das bei der Hofschlachtung getötet werden wird. «Aus Lori kann man alles machen, was man auf dem Grill findet», führt Florian Schweer aus, während er Lori streichelt. Man könne seinen Körper sinnvoll nutzen, um Lebensmittel zu produzieren.
«Aber jetzt ist Lori noch kein Lebensmittel. Jetzt ist er Lori, mit einem Körper und einem Geist. Jetzt behandle ich ihn auch so.» Dass er seinen Tieren nahesteht und ihnen Namen gibt, sei kein Widerspruch dazu, sie nachher zu schlachten und zu essen.
Ähnlich sehen es viele Fleischproduzenten. So auch Sepp Neff, Betriebsleiter des Zentralschlachthofs Hinwil, dem zweiten Schauplatz unseres Experiments. Tiere gernhaben und schlachten sei kein Widerspruch. Im Gegenteil. Es stärke den Respekt, den man dem Tier und dem Fleisch entgegenbringt. Denn dieser Stellenwert gehe manchmal verloren, sagt Sepp Neff. «Uns ist sehr wichtig, dass die Tiere gut gelebt haben, bevor sie zu uns kommen. Das Tier wird geboren, es wird gehegt und gepflegt, bis es reif ist zum Schlachten. Und dann ist es ein wertvolles Nahrungsmittel.»
Die Hofschlachtung
Zwei Protagonistinnen und zwei Protagonisten kommen mit uns auf den abgelegenen Biohof der Familie Schweer in Outremont JU. An einem schönen Sonntagnachmittag lernen sie Rind Lori und die anderen Tiere kennen. Am nächsten Morgen früh kommt der Metzger aus dem nächsten Dorf. In Ruhe bereitet er alles vor. Um halb acht Uhr ist es so weit.
Lori, der gemütlich isst, wird mit einem Bolzenschuss betäubt. Sofort bricht er zusammen. Nicole Schweer zieht ihn mit dem Kran am Hinterbein hoch. Dann setzt der Metzger zum Entblutungsschnitt an. Wenige Minuten später ist Lori tot. Ein berührender Moment für die Protagonisten. «Der Moment, als er am Fuss hochgezogen wurde, war für mich der Übergang vom lebenden zum toten Tier. Das war bewegend,» sagt Carla Schaubhut. Das Ausbluten sei weniger emotional gewesen. «Da war dieser Übergang für mich schon vollzogen.»
In der Schweiz wurden letztes Jahr rund 600'000 Tiere der Rindergattung geschlachtet. 0.25 Prozent davon, also rund 1200 Tiere, starben bei einer Hofschlachtung. Die grosse Mehrheit wird in einem grossen Schlachthof getötet.
Das Leben der Rinder vor dem Schlachthof
Von allen in der Schweiz geschlachteten Rindern waren letztes Jahr ein Drittel Label-Tiere und zwei Drittel konventionell gehaltene Rinder. Das typische Schweizer Rind lebt anders als Bio-Lori in Outremont. Nach den Mindestvorgaben des Schweizer Tierschutzgesetzes reicht ein Stall ohne Auslauf und ohne Stroh. Einer, der so produziert, ist Franz Hagenbuch, Präsident des Rindfleischproduzenten-Verbandes Swiss Beef.
Er ist überzeugt, dass die Tiere gut leben in seinem Stall auf den sogenannten Flächenrosten mit Gummiauflage. «Der Vorteil ist, dass es im Sommer relativ kühl ist und wir haben kein Ungeziefer.» Zudem seien die Tiere sauber und gesund. Hagenbuch produziert, was viele Konsumentinnen und Konsumenten wollen: gutes Rindfleisch zu einem günstigen Preis. Viel Geld in einen teureren Tierwohl-Stall zu investieren, sei ein Risiko. «Ich habe viele Berufskollegen, die einen Label-Stall gebaut haben und nun ihre Produkte nicht kostendeckend verkaufen können, weil die Nachfrage nicht gegeben ist», sagt Franz Hagenbuch.
Für IP-Suisse-Bauer Martin Eichenberger würde diese Tierhaltung nicht stimmen, denn auch Rinder hätten einen grossen Bewegungsdrang. «Wenn ich vor der Frage stehe, Tierwohl oder Wirtschaftlichkeit, dann würde ich mich für das Tierwohl entscheiden.» Deshalb produziert er nach den Richtlinien von IP Suisse. 17 Prozent des in der Schweiz geschlachteten Rindviehs kommt aus diesem Label. Hier haben die Tiere grundsätzlich Auslauf ins Freie und Liegeflächen aus Stroh.
«Die Tiere fühlen sich hier sehr zu Hause und wohl. Das möchte ich meinen Tieren bieten», sagt Martin Eichenberger. Auch wenn die Konsumenten im Laden dafür mehr bezahlen müssen. «Es ist es wert, dass es die Tiere so schön wie möglich haben.» Deshalb geht Eichenberger noch einen Schritt weiter. Er hält die meisten seiner Tiere in einer Mutterkuh-Herde auf der Weide. So wie sich viele Menschen die Fleischproduktion vorstellen.
Doch die Kühe auf der grünen Weide sind in der Schweiz nicht Standard, sondern grösstenteils Label-Tiere. Bei Eichenberger das kleine Premium-Label Swiss Black Angus. Er findet es besser, wenn es den Tieren möglichst gut geht, auch wenn es mehr kostet und die Konsumenten dann weniger Fleisch essen. Doch auch Eichenberger sagt: «Es ist die Bestimmung des Tieres, dass wir es am Schluss essen.» Seine Rinder kommen in den Zentralschlachthof Hinwil – die nächste Station unseres Experiments.
Im Schlachthof
Die Protagonistinnen, die uns in den Zentralschlachthof Hinwil begleiten, sind Fleischesserin Romina Freiburghaus und Vegetarierin Flavia Elin Müller. Beide wollen wissen, was dort genau mit den Tieren geschieht. Auf der Laderampe, wo ein Lastwagen neue Schlachtrinder anliefert, sieht man in die Wartebuchten voller Angus-Rinder, die auf den Bolzenschuss warten. Bei den beiden Frauen kommt Mitleid auf. «Für mich ist es am schwierigsten, ihnen in die Augen zu schauen», sagt Flavia Müller. «Ich habe das Gefühl, dass sie sich Sorgen machen oder gestresst sind, weil sie wissen, was auf sie zukommt.»
Betriebsleiter Sepp Neff sieht es anders. Das Mitleid sei unser menschliches Gefühl, weil wir wissen, dass die Tiere bald sterben. Doch die Rinder wüssten das nicht. «Wenn die gleiche Wartebucht draussen neben einer Weide stehen würde und wir würden hineinschauen, würden wir sagen: ‹Die sind alle ruhig. Es geht ihnen gut. Ihnen fehlt nichts›», sagt Neff. Kritiker sind allerdings skeptisch, ob das wirklich so ist.
Der nächste Lastwagen lädt die Tiere aus. Die ersten gehen gemächlich in die Wartebucht, die nächsten gehen zügig hinterher. Flavia Müller stellt fest: «Die gehen recht motiviert da rein.» Das sei der Herdentrieb, erklärt Sepp Neff. Dieser führe auch dazu, dass die Tiere selber zur Schlachtbank gehen, eins nach dem anderen.
Das Schlachten läuft im Prinzip gleich ab wie bei der Hoftötung. Betäuben mit Bolzenschuss. Tod durch Ausbluten. Der grosse Unterschied: die Menge. Während bei der Hofschlachtung ein Tier stirbt, sind es im Zentralschlachthof Hinwil 45-48 Rinder pro Stunde. Mit dem Schlachtprozess sind die beiden Protagonistinnen zufrieden – doch mit der Menge haben sie Mühe: «Es kommt eines ums andere. Schon wird wieder das nächste aufgeschnitten. Es ist einfach zu viel», sagt Romina Freiburghaus.
Fleisch essen gleich nach dem Schlachten?
Der Abschluss unseres Experiments: Haben die Protagonistinnen und Protagonisten Appetit auf Fleisch, nachdem sie gesehen haben, wie die Tiere geschlachtet wurden? «Jain.» Romina Freiburghaus sagt, sie werde in nächster Zeit kein Fleisch essen. «Was ich hier gesehen habe, war mir ein bisschen zu viel.»
Anders sieht es auf dem Bauernhof in Outremont aus. Hier liegt hofgeschlachtetes Rindfleisch auf dem Grill. Drei der vier Protagonisten greifen beherzt zu. Sie essen Fleisch jetzt wohl mit noch mehr Überzeugung. «Ich bin eher bereit, etwas mehr zu zahlen, weil es den Tieren dann besser geht.»