Für die Befürworter der sogenannten Hof- und Weidetötung war der 1. Juli 2020 ein grosser Tag: Seither ist diese Tötungsmethode in der Schweiz offiziell zur Gewinnung von Fleisch erlaubt. Tierschützer sagen, sie erspare den Tieren durch den Verzicht auf den Transport zum Schlachthof viel unnötige Angst und Stress.
Noch keine Bewilligung erteilt
Noch hat allerdings kein Betrieb eine Bewilligung erhalten – mit Ausnahme der ganz wenigen Pilotbetriebe, welche ihre Tiere dank einer Sonderbewilligung des jeweiligen Kantons schon so töten durften.
Grund für diese Verzögerung: Es fehlen noch schweizweit einheitliche Vorschriften, an welche sich die Betriebe halten müssen. Diese Spielregeln werden derzeit von einer Arbeitsgruppe ausgearbeitet, noch im August sollten sie auf dem Tisch liegen. «Wir mussten zuerst wissen, was überhaupt in der Verordnung drinsteht», sagt Giochen Bearth, Kantonstierarzt des Kantons Graubünden. Er leitet die Arbeitsgruppe.
Man darf nicht zu Gunsten des Tierwohls auf den Transport verzichten, aber dann bei der Betäubung Konzessionen machen.
Anspruchsvoll für die Betriebe
Die Erfahrungen, die man dank der Pilotbetriebe gesammelt hat, haben gezeigt, wie anspruchsvoll die Hof- oder Weidetötung für einen Landwirtschaftsbetrieb ist: Es braucht teilweise bauliche Massnahmen um sicherzustellen, dass kein Blut im Boden versickert, sämtliche Arbeitsschritte müssen von Profis ausgeführt werden und vor allem braucht es einen Schlachtbetrieb in der Nähe: «Das Gesetz schreibt vor, dass das Tier innerhalb von 45 Minuten nach der Tötung ausgeweidet sein muss – und das ist nicht ganz ohne», stellt Giochen Bearth fest.
Diese 45 Minuten gelten deshalb, weil unmittelbar nach der Tötung des Tiers Zersetzungsprozesse beginnen, welche die Fleischqualität beeinflussen. «Wenn ein Tier tot und ausgeblutet ist, können gewisse Bakterien aus dem Magen-Darm-Trakt ins Fleisch übergehen.»
Nicht nur Begeisterung unter den Kantonstierärzten
Auf Anfrage äussern verschiedene Kantonstierärztinnen und -tierärzte gewisse Bedenken: Sicher sei diese Tötungsmethode für das Tierwohl sinnvoll. Aber sobald ein Betrieb nicht sauber arbeite, werde es einerseits aus hygienischer Sicht heikel, und dann sei auch das Tierwohl nicht mehr gewährleistet. Bedenken, die der Leiter der Arbeitsgruppe teilt: «Man darf nicht zu Gunsten des Tierwohls auf den Transport in den Schlachtbetrieb verzichten, aber dann beispielsweise bei der Betäubung Konzessionen machen.» Giochen Bearth hält fest: «Wir müssen den Schlachtprozess aus hygienischer und tierschützerischer Sicht identisch beurteilen – unabhängig davon, ob das Tier auf dem Hof, auf der Weide oder im Schlachtbetrieb getötet wird.»
Das Gesetz verlangt, dass bei der Hoftötung das Betäuben und das Entbluten des Schlachtviehs mindestens einmal jährlich pro Betrieb von einer amtlichen Tierärztin oder einem amtlichen Tierarzt überwacht wird. Ob dafür die nötigen Ressourcen vorhanden sind, wird sich zeigen müssen. Derzeit haben schweizweit immerhin schon rund 120 Betriebe konkrete Pläne, ihre Tiere künftig auf dem Hof- bzw. auf der Weide zu töten.