Bilder von Manet, Monet oder van Gogh befinden sich in der Sammlung des Waffenproduzenten Emil Bührle. Es sind Meisterwerke der Kunst, die seit bald drei Jahren als Leihgaben im Kunsthaus Zürich zu sehen sind.
Sie sorgen dort aber nicht bloss für Begeisterung, sondern auch für Kontroversen. Weil Emil Bührle seine Kunstsammlung mit Gewinnen aus dem Waffengeschäft zusammenkaufte. Und: Weil darunter Fälle vermutet werden, die jüdischen Sammlern zurückgegeben werden sollten.
Die wichtigste Erkenntnis
des unabhängigen Forschungsberichts
, den der Schweizer Historiker Raphael Gross mit einem Team im Auftrag von Stadt, Kanton und Kunsthaus Zürich erstellte und am Freitag präsentierte: Es wird viel weitere Forschung nötig sein.
Zentral bei der Provenienzforschung ist die Besitzgeschichte der Bilder: Wann und warum verkauften jüdische Vorbesitzer das Werk? Gibt es einen Zusammenhang mit der Verfolgung durch das NS-Regime? Wurden Werke verkauft, um die Flucht zu finanzieren? Solche Fälle werden als «NS- verfolgungsbedingte Verluste» bezeichnet und sollten restituiert werden.
Fehler und Lücken der stiftungseigenen Forschung
Die Forschung, die die Bührle Stiftung selbst vorlegte, stellte die Herkunft aller 205 gezeigten Bilder als unproblematisch dar. Das lässt sich nun nicht mehr halten. Raphael Gross’ Forschungsbericht zeigt: Oft klaffen gravierende Lücken in der Provenienz, gerade für die wichtigen Jahre ab 1933.
Darum geht es bei der Bührle-Kontroverse
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Seit 2021 zeigt das Kunsthaus Zürich Bilder der Bührle-Sammlung als Leihgaben. Die Werke sind wertvoll, aber auch umstritten, denn Emil Bührle verdiente als Waffenproduzent ein Vermögen, unter anderem durch Geschäfte mit dem NS-Regime. Einige Werke musste er nach dem Krieg als Raubkunst zurückgeben. Fachleute vermuten in der Sammlung bis heute Bilder, die jüdischen Sammlern zurückgegeben werden sollten.
Die Eröffnung und die erste Ausstellung 2021 waren allerdings ein Fiasko. Die Bührle-Ausstellung vermittelte zu wenig zeithistorischen Kontext, beschönigte Bührles Rolle sowie die Umstände von Flucht und NS-Verfolgung.
Kritische Stimmen fordern Überarbeitung
Zudem waren die Herkunftsgeschichten der Bilder nicht unabhängig untersucht worden. Die
Provenienzen erforschte die Bührle-Stiftung selbst
und kam wenig überraschend zum Schluss, dass alles unproblematisch sei.
Kritische Stimmen sowie die Historikerinnen und Historiker der
«Bergier»-Kommission
(unabhängige Experten-Kommission Schweiz Zweiter Weltkrieg) forderten darauf die Überarbeitung der Ausstellung, die unabhängige Erforschung der Bührle-Bilder und eine unabhängige Kommission, die über strittige Fälle berät beziehungsweise entscheidet, ob Bilder Erben jüdischer Sammlerinnen zurückgegeben werden müssen.
Neue Leitung, neue Lösung?
2022 trat Anne Demeester als neue Kunsthaus Direktorin ihr Amt an, Philipp Hildebrand übernahm das Präsidium im Trägerverein des Museums der Zürcher Kunstgesellschaft. Beide kündigten an, die Kontroverse um die Bührle-Bilder lösen zu wollen. Rasch verabschiedete das Museum eine neue Strategie für Provenienzforschung und überarbeitete die stark kritisierte erste Ausstellung der Bührle-Bilder.
Im Herbst 2023 wurde die zweite Präsentation der Bührle-Bilder eröffnet. Die Ausstellung kontextualisiert Emil Bührle als Sammler und Mäzen des Kunsthauses und liefert viele verschiedenen Perspektiven auf die kontrovers diskutierten Bilder. Eine eigene Position blieb das Kunsthaus aber schuldig.
Neue Prüfung der Herkunft
Der wissenschaftliche Beirat, der diese Ausstellung begleiten sollte, ist vor der Eröffnung
geschlossen zurückgetreten.
Hauptstreitpunkt war die inhaltliche Ausrichtung der Ausstellung und die fehlende Berücksichtigung der Perspektive von Opfern des NS-Regimes.
Seit Mai 2023 werden die Provenienzen der Bilder, die die Bührle-Stiftung bereits selbst erforscht hat, durch den Schweizer Historiker Raphael Gross überprüft. Gross ist Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin und Mitglied in der «beratenden Kommission», die in Deutschland für strittige Raubkunst Fälle Lösungen empfiehlt.
Der Grund dafür steckt in der Methode: Die Bührle-Forschung sprach von Unbedenklichkeit, solange es keine Hinweise auf problematische Zusammenhänge gab. Ausgedeutscht heisst das: Als unbedenklich galten auch jene Werke, bei denen jegliche Angaben fehlten. Schliesslich fehlen bei Lücken Hinweise; es gibt einfach gar keine Informationen.
Raphael Gross und sein Team fanden ausserdem 18 neue Fälle; 18 Bilder, die zwischen 1933 und 1945 jüdischen Vorbesitzerinnen gehörten. Damit erhöht sich die Anzahl der Fälle in der Bührle-Sammlung, die möglicherweise zurückgegeben werden müssten, auf 62.
Wie weiter?
Stadt, Kanton und Kunsthaus Zürich äussern sich voraussichtlich Mitte Juli zum 167 Seiten dicken Forschungsbericht. Unklar ist insbesondere, wer für die zusätzlich notwendige Forschung aufkommt.
Dass sich die Bührle-Stiftung daran beteiligen soll, fordern ehemalige Mitglieder der Bergier-Kommission (UEK Unabhängige Expertenkommission Schweizer-Zweiter Weltkrieg) in einer ersten Stellungnahme.
Knacknüsse fürs Kunsthaus
Nach dem Forschungsbericht ist klar: Im Moment werden bei der Ausstellung der Bührle-Bilder im Kunsthaus die selbst gesetzten Standards nicht erfüllt. Eine angemessene Kontextualisierung ist wegen Forschungslücken nicht möglich. Und: Möglicherweise werden Bilder gezeigt, die als NS-verfolgungsbedingte Entzüge zu gelten haben.
Der Forschungsbericht empfiehlt, am Kunsthaus ein Gremium einzurichten. Dabei geht es um Richtlinien für den Umgang mit Unsicherheiten, ganz konkret: Wie viele Fragezeichnen sind nötig, bis ein Bild abgehängt wird? Dafür braucht es am Kunsthaus Kriterien. Über allfällige Rückgaben entscheidet die Bührle-Stiftung, der die Bilder gehören.
Ellinor Landmann
Kulturredaktorin
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Ellinor Landmann studierte Kunstgeschichte an der Uni Bern und arbeitet seit 2003 als Kunstkritikerin und Kulturredaktorin für SRF 2 Kultur. Seit 2013 ist sie für den Bereich Kunst verantwortlich.
Radio SRF 4 News, Rendez-vous, 28.06.2024, 12:30 Uhr
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