Das Kiewer Khanenko-Museum ist gut besucht. Dabei gibt es aktuell nicht viel zu sehen. Im Herbst 2022 hatte eine russische Rakete die Front der prachtvollen Gründerzeitvilla stark in Mitleidenschaft gezogen, die Instandsetzungsarbeiten halten an.
Die bedeutende Sammlung war zum Glück zuvor evakuiert worden – das Khanenko-Museum zeigt deshalb derzeit seine leeren Wände, leeren Vitrinen und verwaisten Beschriftungsschilder – ein Ort massiver Veränderungen und einer unwägbaren Zukunft. Darin sollen die Besuchenden ein Sinnbild für die ganze Ukraine sehen.
Oper mit verwaisten Instrumenten
Die beiden Komponisten Roman Grygoriv und Illia Razumeiko haben in den verwaisten Museumsräumen eine «Oper der Erinnerung» aufgeführt – mit dem Titel «Genesis».
Die eindrucksvolle Inszenierung zeigt die verwaisten Instrumente: «Die Harfen, die meist von Frauen gespielt wurden, die mit ihren Kindern vor dem Krieg nach Europa geflohen sind. Wir haben nun alle Instrumente ins Museum transportiert», erklärt Illia Razumeiko. Mit dabei war auch das Klavier von Anton Baraschewskij, einem jungen, erfolgreichen Pianisten, der jetzt in Amsterdam lebt.
So klingt der Krieg
Roman Grygoriv und Illia Razumeiko verbinden Performance, Theater und Oper zu pompösen und ekstatischen Gesamtkunstwerken, die alle Sinne überwältigen. In der Ukraine ist das keine Effekthascherei, sondern eine existenzielle Geste.
Im Kiewer «Haus der Komponisten» holt Roman Grygoriv das Skelett einer russischen Rakete hervor, die in der Nähe eingeschlagen war. Mit einem Geigenbogen holt er aus ihr den «Sound des Todes», wie er sagt. Illia Razumeiko begleitet ihn dazu am Klavier.
Traumabewältigung mit Kultur
Das neuste Projekt der beiden Komponisten ist die Oper «Gaia 24». Schauplatz: das Überflutungsgebiet nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms. «Wir haben unter permanentem Artilleriebeschuss gearbeitet, die Front verläuft in unmittelbarer Nachbarschaft», erzählt Illia Razumeiko.
«Alles, was wir jetzt machen, ist Trauma-Arbeit», fügt Roman Grygoriv hinzu und resümiert: «Der Krieg hat alles zerstört, alles wurde an einem Tag vernichtet.»
Verluste vergegenwärtigen
Ukrainische Kunst setzt gerade alles daran, den Schmerz wachzuhalten, den anhaltenden Krieg immer noch als Grauen zu begreifen und nicht als Normalität hinzunehmen. Die absurde Allgegenwart des russischen Angriffs wird beispielsweise greifbar in Zhanna Kadyrovas Serie «Angst», ausgestellt im PinchukArt-Centre: folkloristisch geknüpfte Bildteppiche, tanzende Paare unter Birken oder ein Fuchs, der sich lachend mit einem Hahn unterm Arm davonmacht. Darüber der gestickte Schriftzug «Fliegeralarm».
Kunst macht die Verwundbarkeit greifbar. Zhanna Kadyrova hat zudem auf einer Wand eine Liste mit zerstörten Kunstdenkmälern angebracht, stoisch nach Datum sortiert, immer mit Ortsangabe. Einerseits ein formal knochentrockenes Konzept-Kunstprojekt, andererseits eine erschütternde Verlustanzeige, Anklage und Manifest fragiler Existenz. Eine Arbeit, die eine strenge Struktur in das Chaos der Zerstörung bringt.
Auch deshalb boomt die Kunstproduktion in der Ukraine. Sie hilft dabei, das Unfassbare zu bewältigen.