Die Felder von Bauer Anton Grin unweit der Ortschaft Mariwka liegen rund 160 Kilometer Luftlinie vom Wasserkraftwerk Kachowka entfernt. Für die Bewässerung seiner Felder ist der Bauer auf das Wasser aus dem Stausee des Wasserkraftwerks angewiesen. «Das Einzige, worauf wir noch hoffen können, ist Regen», sagt er, während er in das leere Sammelbecken vor ihm blickt.
Wo früher das Wasser zwei Meter hoch stand, wächst jetzt Gras zwischen Betonplatten. Mit dem Wasser aus dem Stausee wurde über ein Kanalsystem ein Gebiet so gross wie der Kanton Bern versorgt. «Niemand hätte sich vorstellen können, dass so etwas möglich ist», erzählt Anton Grin kopfschüttelnd.
In den ersten Tagen nach der teilweisen Zerstörung des Staudamms gab es noch Hoffnung, dass der Wasserspiegel im Stausee nicht ganz so tief sinken könnte und eine Bewässerung der Felder noch möglich sei. Doch am fünften Tag nach der Explosion Anfang Juni herrschte Gewissheit. «Es wird Jahre dauern, bis der Wasserspiegel wieder dieselbe Höhe erreichen wird.»
Mit dem Wasser sind getötete Tiere, aber auch Maschinenöl ins Schwarze Meer gespült worden. Eine ökologische Katastrophe.
Anton Grin hat in diesem Jahr auf eine zweite Aussaat verzichtet, zu gross schien das Risiko, zu wenig ernten zu können ohne Wasser. Wie es mit seinem Betrieb weitergehen wird, kann Anton Grin nicht sagen. Er versucht, positiv zu bleiben. «Solange wir leben, werden wir arbeiten. Wenn der Krieg zu Ende ist, werden wir alles aufbauen.» Noch ist der Krieg nicht zu Ende und die russische Armee steht nur wenige Kilometer entfernt.
Eine Katastrophe ohnegleichen
Die Präsenz der russischen Armee macht es schwierig, die Folgen der Zerstörung zu dokumentieren. Dem Leiter des regionalen Zentrums für Hydrometeorologie Juri Kirjak bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dem Wiederaufbau bisher in Theorie zu beschäftigen: «So lange der Krieg andauert, entwerfen wir auf dem Papier Pläne, beobachten und treffen Entscheidungen, was getan werden könnte.»
Ob es sich lohnt, das Kraftwerk wieder aufzubauen, lässt sich noch nicht sagen. Ebenso wenig lassen sich die langfristigen Folgen abschätzen: «Mit dem Wasser sind getötete Tiere, aber auch Maschinenöl ins Schwarze Meer gespült worden. Eine ökologische Katastrophe. Nie zuvor wurden wegen einer von Menschen gemachten Katastrophe so grosse Mengen an Wasser durchmischt.»
Hilfe unter Beschuss
Während nördlich des Kraftwerks das Wasser aus dem Stausee fehlt, kämpfen die Menschen weiter südlich mit den Folgen der Überschwemmung nach der Zerstörung. Im Haus von Nadja Schiljak stand das Wasser drei Meter hoch: «Wir mussten alles entsorgen. Möbel, Decken, Geschirr, selbst den Kronleuchter. Alles, was wir in den letzten 40 Jahren angeschafft hatten.» Die Pensionärin weiss sie nicht, woher sie Kraft und Geld nehmen soll, um ihr Haus zu reparieren.
Freiwillige haben ihr geholfen, mit Chemikalien den Pilzwuchs an Wänden und Decken zu stoppen. Diese Hilfe gibt es nun nicht mehr: «Die Männer, die mir geholfen haben, waren unweit von hier unterwegs, als sie unter russischen Beschuss gerieten. Vier von ihnen wurden verletzt und mussten ins Spital.» Es kommen immer weniger Helfer in die Stadt und Menschen wie Nadja Schiljak sind zunehmend auf sich alleine gestellt.