Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist Andriy Dubchak an der Front. Zurzeit reist der ukrainische Fotoreporter entlang des Kachowka-Stausees. Gegenüber dem «Club» erzählt er, was er dort erlebt und sieht.
SRF News: Die Zerstörung des Staudamms hat riesige Gebiete überschwemmt und am oberen Laufe des Flusses fehlt das Wasser. Muss man von einer ökologischen Katastrophe sprechen?
Andriy Dubchak: Es gibt hier keinen Lebensraum mehr für Fische und für Vögel, kein Wasser für technische Einrichtungen, kein Wasser für die Landwirtschaft. Bald wird hier alles Wüste sein. Ich habe mich auf meiner Reise mit Wissenschaftlern und Ökologen unterhalten: Auch sie können nicht vorhersagen, was die Zukunft bringt, weil sie keinen Vergleich haben für eine Katastrophe dieses Ausmasses.
Der Stausee war das Reservoir für ein Bewässerungssystem, das etwa 600'000 Hektaren Landwirtschaftsland mit Wasser versorgte. Was heisst das für die Ernte?
Die Ernährungssicherheit ist gefährdet, denn in dieser Region wird traditionell eine Menge Lebensmittel produziert: Tomaten, Zwiebeln und viel Getreide. Die Landwirtschaft ist auch ein wichtiger Exportfaktor. Das wird für die nächsten Jahre ein grosses Problem für die Ukraine sein. Es wird viele Jahre dauern, um den Damm wiederherzustellen und dann den Wasserstand wieder zu erreichen. Aber um das alles zu tun, müssen wir erst den Krieg beenden.
Die Flut hat auch viele Landminen weggespült, die jetzt irgendwo in der Landschaft verteilt sind.
Das ist eine grosse Gefahr. Es hat viele Minen, die versteckt wurden von der Infanterie, denn einige Regionen hier am Dnipro waren von Russen besetzt. Diese treibenden Landminen sind jetzt irgendwo am Flussufer und in den Feldern.
Jeder Tag bringt neuen Horror in diesem Land.
Wo du hinschaust, gibt es Probleme: Minen, Raketen, Wirtschaftskrise, jetzt diese ökologische Katastrophe. Jeder Tag bringt neuen Horror in diesem Land. Es gibt Tage, an denen man das akzeptiert, aber es kann einfach nicht sein, dass das unsere Realität ist.
Erst der Krieg, jetzt diese Katastrophe. Haben die Menschen noch Hoffnung?
Die Russen hatten zunächst auch Teile dieser Gegend besetzt. Dann sind etwa die Hälfte der Menschen in die Dörfer und Städte zurückgekommen, die Region galt als sichere Zone: und jetzt das. Unten am Dnipro-Fluss gibt es heftigen Artilleriebeschuss, da gibt es fast keine Menschen mehr.
Manchmal gibt es fast keine Hoffnung mehr.
Manchmal gibt es fast keine Hoffnung mehr. Nur noch Menschen, die auf das Ende des Krieges warten. Und dann realisieren, wie lange es dauern wird, um ihr Leben wieder aufzubauen
Sie sind seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges als Fotoreporter an der Front, wie gehen sie damit um?
In den ersten Tagen der Invasion fuhr ich bereits an die Front, damals nach Kiew. Es war irgendwie unwirklich für mich. Seither habe ich viele Tragödien gesehen: heimatlose Menschen und Kinder, Leichen, Granaten, zerstörte Häuser, Hunderte von Kilometern zerstörter Dörfer und Städte.
Mit meinen Bildern möchte ich die Realität des Krieges abbilden. Damit die Welt sieht, was hier geschieht.
Einige Soldaten sind wirklich mutig. Selbst ohne Beine, ohne Hände, wollen sie zurück zur Armee und für die Ukraine kämpfen. Einige Soldaten sind sehr stark; andere wiederum sind einfach nur Menschen. Mit meinen Bildern möchte ich die Realität des Krieges abbilden. Damit die Welt sieht, was hier geschieht.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.