Die Wassermenge, die nach dem Bruch des Kachowka-Staudamms in der Südukraine entfesselt wurde, ist immens. Die Zerstörung ebenso. Auch einen Tag nach der Katastrophe steige der Wasserpegel weiter, melden unter anderem die ukrainischen Behörden im Gebiet Cherson.
Wahrscheinlich hat eine Kriegspartei den Damm gesprengt, die Zeichen deuten nach Russland; die Ukraine spricht von einem Ökozid. Während Evakuierungen laufen und die Menschen um ihr Hab und Gut fürchten, stellt sich eine weitere Frage: Welche Folgen haben die Wassermengen eigentlich für die Umwelt? ETH-Experte David Vetsch erklärt es.
SRF News: Die Überschwemmungen in der Südukraine sind gewaltig. Welche Folgen hat dies für die Umwelt?
David Vetsch: Dieses Ereignis ist ausserordentlich, mit verheerenden Folgen. Aber weil Gewässersysteme sehr komplex sind, ist auch die Analyse dieses Störereignisses nicht einfach. Grundsätzlich lässt sich sagen: Je weniger der Mensch Einfluss auf die Natur genommen hat, desto schneller kann sie sich von solchen Katastrophen erholen.
Wie fest hat der Mensch also im betroffenen Gebiet in die Natur eingegriffen?
Der Fluss Dnipro unterhalb des Staudamms scheint mir auf den ersten Blick in einem ökologisch guten Zustand zu sein. Das bedeutet: Der Gewässerraum ist mehrere Kilometer breit, es gibt ausgeprägte Flussauen und der Fluss ist wenig bis gar nicht verbaut. Im Rahmen des Möglichen – wir sprechen hier wirklich von einem Extremereignis, bei dem auch vieles zerstört wird – hätte die Natur also eigentlich gute Voraussetzungen, sich zu regenerieren.
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Bild 1 von 18. Am frühen Morgen wird die Zerstörung des Kachowka-Staudamms gemeldet. (6. Juni 2023). Bildquelle: IMAGO/Ukrhydroenergo.
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Bild 2 von 18. Satellitenaufnahme nach dem Dammbruch: Wasser aus dem Stausee fliesst unkontrolliert ab. (6.6.2023). Bildquelle: Keystone/AP/Planet Labs.
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Bild 3 von 18. Die Überschwemmung schränkt die Trinkwasserversorgung von mehreren Hunderttausend Menschen ein. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/EPA/MYKOLA TYMCHENKO.
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Bild 4 von 18. Teile von Cherson stehen ganz unter Wasser. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/EPA/MYKOLA TYMCHENKO.
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Bild 5 von 18. Bis am Mittwochnachmittag werden rund 2000 Menschen aus den von den Ukraine kontrollierten Gebiete evakuiert. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Alina Smutko.
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Bild 6 von 18. Rettungskräfte und Helfer evakuieren Menschen aus der überfluteten Stadt Cherson. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Roman Hrytsyna.
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Bild 7 von 18. Die Strassen der Gebietshauptstadt Cherson sind überflutet. Helfer fahren mit einem Schlauchboot die Häuser ab. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Vladyslav Musiienko.
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Bild 8 von 18. Ein Bewohner von Cherson hilft bei der Evakuation mit. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Ivan Antypenko.
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Bild 9 von 18. Auch einen Tag nach dem Bruch ist die Flut in Cherson noch nicht abgeklungen. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Roman Hrytsyna.
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Bild 10 von 18. Der Seehafen in Cherson. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Ivan Antypenko.
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Bild 11 von 18. Nach ukrainischen Angaben befinden sich rund 80 Siedlungen im Überschwemmungsgebiet. (7. Juni 2023). Bildquelle: Keystone/AP Photo/Libkos.
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Bild 12 von 18. Mit der Flut verbreiten sich ansteckende Krankheiten und giftige Stoffe. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Ivan Antypenko.
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Bild 13 von 18. Der Kulturpalast in Nowa Kachowka. Der Ort liegt nahe des zerstörten Staudamms. (7. Juni 2023). Bildquelle: Imago/Alexei Konovalov/TASS/Sipa.
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Bild 14 von 18. Ein Einwohner von Nowa Kachowka schaut sich sein Haus an. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Alexander Ermochenko.
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Bild 15 von 18. Auf der ukrainisch kontrollierten Uferseite wird mit der Überschwemmung von 10'000 Hektar Nutzfläche gerechnet. (7. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Vladyslav Musiienko.
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Bild 16 von 18. Die Evakuation von Cherson beginnt am 6. Juni 2023, nachdem der Kachowka-Staudamm gebrochen war. Bildquelle: IMAGO/Kyodo News.
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Bild 17 von 18. Menschen in Cherson bringen ihr Hab und Gut in Sicherheit. (6. Juni 2023). Bildquelle: REUTERS/Alina Smutko.
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Bild 18 von 18. Ein Strand bei Saporischja: Der Wasserpegel des Stausee sinkt im Verlauf des Tages deutlich ab. (6. Juni 2023). Bildquelle: IMAGO/Albert Koshelev.
Dennoch sehen Sie eine Gefahr für die Flora und Fauna.
Genau, denn es sieht ganz danach aus, dass der menschliche Einfluss erst jetzt wirklich spürbar wird. Es ist die Rede davon, dass 150 Tonnen Maschinenöl in die Gewässer gelangten, weitere Unmengen drohen auszulaufen.
Lebensräume für Vögel werden zerstört oder Fische werden verenden.
Es ist auch davon auszugehen, dass es zu Verunreinigung durch Fäkalien kommt. Vermischen sich diese Schadstoffe mit dem Wasser, kann dies wirklich schlimme Folgen für die Ökosysteme haben. Es gäbe nachhaltige Schäden bei Flora und Fauna.
Wie sehen diese nachhaltigen Schäden aus?
Beispielsweise werden Lebensräume für Vögel zerstört oder Fische werden verenden. Wir müssen uns auch daran erinnern, dass nicht nur der Unterstrom, sondern auch der Oberstrom betroffen ist. Während es nämlich südlich des Damms viel zu viel Wasser hat, fehlt es im oberen Teil.
Ein See ist ebenso ein komplexes Ökosystem wie ein Fluss. Ist dieser ausgelaufen, kommt es auch dort zu einer starken Beeinträchtigung des Ökosystems. Und bis der See wieder voll ist, dürfte es nach dem Wiederaufbau des Damms noch mindestens ein Jahr dauern. Doch neben der wahrscheinlichen Ölverschmutzung besorgt mich noch ein anderes Szenario.
Sie spielen auf die Industriegebiete entlang des Stausees an.
Genau. Es ist nämlich möglich, dass die Sedimente, also der Bodensatz des Sees, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten durch die Ausläufe der Industrie kontaminiert wurden. Verunreinigungen sind nie wünschenswert, doch im Sediment gebunden kann das je nach Substanz weniger oder mehr problematisch sein. Aber wenn ein See derart brachial geleert wird, können diese kontaminierten Sedimente mobilisiert werden. Werden diese dann stromabwärts abgelagert, kann dies dort zu einer Beeinträchtigung bislang unversehrter Ökosysteme führen.
Das Gespräch führte Pascal Studer.