Nicht immer ist die grosse Liebe auch eine Liebe auf den ersten Blick. Das ist auch in der Kunst so. Der Meret-Oppenheim-Brunnen in Bern, 1983 aufgestellt, wurde von den Bernerinnen und Bern einst heiss und innig gehasst. Heute liebt die Stadt ihren wilden Brunnen.
Wenn sie ein Kunstwerk für den öffentlichen Raum gestalte, dann wolle sie etwas schaffen, dass den Leuten gefalle. Etwas, an dem sie Freude hätten, wie an einem Garten. Das sagte Meret Oppenheim 1983, als ihr Brunnen in Bern eingeweiht wurde.
Ein Brunnen wie ein Garten – das klingt verlockend. Doch der Meret-Oppenheim-Brunnen in Bern wurde nicht von Anfang an von allen Bernerinnen und Bernern auch als Garten angeschaut.
Die zehn Meter hohe Steinsäule, um die diagonale Wasser- und Pflanzsimse laufen, wirkte auf manche Menschen einfach abstossend. Der Brunnen sorgte jahrelang für Debatten und bitterböse Leserbriefe in den Berner Zeitungen.
Ein Brunnen wie ein ausgestreckter Mittelfinger
Der Brunnen wurde als Affront wahrgenommen, sagt Kathleen Bühler, Leiterin Abteilung Gegenwart im Kunstmuseum Bern. Er habe dagestanden wie ein ausgestreckter Mittelfinger.
Gut auf Bern zu sprechen war Meret Oppenheim nicht. Obwohl sie die erste lebende Künstlerin war, die einen Brunnen in der Brunnenstadt Bern gestalten durfte. Ausstellen aber wollte man die bekannte Künstlerin Meret Oppenheim in Bern nicht.
Der Brunnen als Biotop
Der Meret-Oppenheim-Brunnen blieb nicht lange grau. Nach und nach wuchs auf den Spiralen, die die Säule umgeben, ein luftiger Garten, ein wahres Biotop mit Platz für viele Arten.
Dieser Bewuchs mache aus dem Brunnen etwas Besonderes, sagt Annina Zimmermann, Fachspezialistin für Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Bern: «Der Brunnen thematisiert Vergänglichkeit.» Und das ist für ein Kunstwerk im öffentlichen Raum etwas Ungewöhnliches.
Nicht nur die Pflanzen sind gewachsen, das stetige Rinnen kalkhaltigen Wassers hat grosse Tuffsteingebilde an der Säule wachsen lassen. Als der Brunnen vor sechs Jahren restauriert wurde, entfachte erneut ein grosser Streit um das Kunstwerk.
Ein Brunnen mit Wildwuchs
Diesmal ging es um die Frage: Soll man den Brunnen blitzblank säubern, damit er wieder aussieht wie vom Reissbrett? Oder soll man einen gewissen Steinbewuchs am Brunnen lassen?
Die Puristen gaben schliesslich nach. Der Brunnen durfte ein wenig bizarr bleiben. Das sei auch gut so, findet Annina Zimmermann von der Stadt Bern, ist er doch eine Art sehr spezieller Wächter, sagt sie.
Der Meret-Oppenheim-Brunnen bewache die Grenze zum Nicht-Kontrollierbaren, Irrationalen, Träumerischen und Subjektiven. Annina Zimmermann ist mit dieser Sicht nicht allein. Die Bernerinnen und Berner, sie haben ihren Meret-Oppenheim-Brunnen tief ins Herz geschlossen.