Wer sich mit Bauen in der Zukunft befasst, braucht Visionen. Denn die Ressourcen werden knapp, erläutert Architekt Mario Cucinella. Sand wird bis 2040 aufgebraucht sein, Öl bis 2050, Aluminium bis 2070: «Wir haben gar keine andere Wahl, als uns mit neuen Materialien auseinanderzusetzen», sagt der 61-Jährige. «Es ist an der Zeit, eine Lösung zu finden und etwas zu ändern.»
Gerade der Krieg in der Ukraine habe uns in den letzten Monaten gezeigt, was es heisse, von Energie und Industrie abhängig zu sein. Was also tun?
Mit Recycling zur Rettung der Erde
Als Architekt ist Mario Cucinella darauf angewiesen, Material für Bauten zur Verfügung zu haben. Eine der Möglichkeiten sei das Recycling von Baumaterial. Vorbilder seien Länder, die sich aus der Landwirtschaft entwickelt hätten. Wie Italien oder auch die Schweiz: «Notgedrungen wurde Recycling praktiziert, weil Ressourcen schwer zu finden waren», sagt er: «Man hat nichts weggeworfen, sondern maximal genutzt.»
Wenn die Ressourcen zur Neige gehen, werde die Stadt zur Mine, so eine von Cucinellas Thesen: «In der Stadt gibt es bereits alle Materialien: Ziegel, Beton, Stahl, Aluminium, Glas.» Städte hätten sich immer verändert: Bauen, umbauen, abreissen. Teile dieser Materialien könnten wiederverwendet werden. Dazu passend seien auch die Zielvorgaben der European Roadmap 2030/2050: Gebäude müssten demontiert, nicht zerstört werden. Die Kreislaufwirtschaft von Materialien sei wichtig.
Mario Cucinellas andere These hat der Ausstellung «Design with Nature», die vor kurzem am Salone del Mobile zu sehen war, den Namen gegeben: «Die Natur ist die wichtigste Materialquelle der Zukunft.» In Mailand hat er seine Vision auf einem langen gewundenen Tisch präsentiert: mit vielen Informationstafeln und Materialmustern drauf. Hier hat er einen eindrücklichen Überblick gegeben über den Stand der Forschung und Produktion.
Möbel von und mit der Natur
Internationale Hersteller und Designerinnen beschäftigen sich zum Beispiel mit dem Potenzial von Früchten. Aus Mangoschalen oder Orangenschalen entsteht eine Art Kunstleder, aus Bananenblättern Tapeten. Ein Unternehmen vermischt Kaffeesatz mit Naturfasern und stellt daraus Platten zur Schalldämmung und Isolierung her.
«Wichtig ist, bereits in der Erstverwendung von Material an das zweite Leben der Stoffe zu denken», sagt der Experte für nachhaltiges Bauen. Als nächsten Schritt müsse der Designer dieses Material interpretieren, denn es sei anders geartet als bisher. «Vielleicht brauchen wir eine neue Kultur der Ästhetik», sagt Cucinella.
Neue Wohnformen verändern unsere Ansprüche
Diese neuen Materialien entwickelten sich zeitgleich mit neuen Wohnformen. Die Pandemie habe zu veränderten Wohnansprüchen geführt: «Wir entdecken, dass wir viele Dinge zu Hause erledigen können, wie beispielsweise arbeiten. Das zeigt mir: Menschen möchten ihr Leben anders organisieren.»
Entscheidend sei die digitale Revolution: Wohnungen, insbesondere Eigentumswohnungen, bräuchten in Zukunft Gemeinschaftsräume zum Arbeiten. Damit wäre man nahe bei der Familie.
Zurück zum Dorf?
Das entspricht der Idee der 15-Minuten-Städte, einem urbanen Wohnkonzept, bei dem die wichtigen Dinge des täglichen Bedarfs entweder zu Fuss oder mit dem Fahrrad vom Wohnhaus innerhalb von 15 Minuten erledigt werden sollen. «In einer grossen Stadt mit einer kleinräumigen Nachbarschaft zu leben, kommt dem Alltag der Menschen immer näher», sagt der Architekt. Zurück also zum Dorfgedanken.
Überhaupt lohne sich der Blick in die Geschichte. «Die Zukunft liegt nicht immer vor uns. Manchmal müssen wir zurückblicken.» Tausende von Jahren hätten wir ohne Energie gelebt. Warum also, meint Mario Cucinella, studieren wir nicht die Vergangenheit, um die Zukunft besser zu machen als das Heute?