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Neue Dokumente aufgetaucht Streit um Welfenschatz: Ist es doch NS-Raubkunst?

Seit bald 20 Jahren wird um den Welfenschatz gestritten. Die goldenen Kreuze und Tabernakel liegen in einem Berliner Museum, Besitzerin ist die Stiftung Preussischer Kulturbesitz. Doch nun sollen neue Akten belegen, dass der Welfenschatz unter Zwang verkauft wurde.

Was ist passiert? Im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden tauchten neue Dokumente auf. Sie zeigen, dass der Welfenschatz zu einem Viertel der jüdischen Juwelierin Alice Koch gehörte. Aus den Akten ist ausserdem ersichtlich: 1935 bezahlte Koch für ihre Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland 1'155’000 Reichsmark als sogenannte «Reichsfluchtsteuer». Diese Abgabe finanzierte sie mit ihrem Anteil am Verkauf des Welfenschatzes an den preussischen Staat nur wenige Tage zuvor: ebenfalls 1’155'000 Reichsmark. Das heisst: Sie verkaufte den Welfenschatz nicht freiwillig, sondern um fliehen zu können. Es war ein Verkauf unter Zwang.

Der Welfenschatz

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Der Welfenschatz ist ein ehemaliger mittelalterlicher Kirchenschatz, benannt nach dem Welfenhaus, das ihn seit 1671 besass. Es handelt sich dabei um 82 kunsthandwerkliche Gegenstände aus dem 11. bis 15. Jahrhundert. Zum Welfenschatz gehören grösstenteils Goldschmiedearbeiten – darunter herausragende Stücke wie prächtige Kreuze, Reliquiare und Tragaltäre. 

1929 verkaufte das Welfenhaus den Schatz an ein Konsortium von Kunsthändlern. 1935 erwarb der preussische Staat diesem Konsortium, dessen Mitglieder zum Teil jüdischen Glaubens waren, 42 Werke für das Schlossmuseum (heute das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz).

Heute sind insgesamt 44 Objekte des Welfenschatzes im Eigentum der Stiftung Preussischer Kulturbesitz. Sie werden im Kunstgewerbemuseum am Berliner Kulturforum gezeigt.

Warum ist das wichtig? Mit der Washingtoner Erklärung von 1998 verpflichteten sich 44 Staaten, für NS-Raubkunst gerechte und faire Lösungen zu finden. Auf dieser Grundlage forderten die Erben der früheren jüdischen Besitzer des Welfenschatzes seine Rückgabe. Sie argumentierten, der Verkauf des Schatzes 1935 sei unrechtmässig gewesen, er sei als NS-Raubkunst zu betrachten. Bisher liess sich das aber nicht beweisen. Die neuen Dokumente um Mitbesitzerin Alice Koch belegen nun erstmals einen Zusammenhang zwischen dem Verkauf des Welfenschatzes und der Verfolgung im NS-Regime. Das ist eine neue Entwicklung im alten Streit um den Welfenschatz.

Goldenes Kreuz mit einer Darstellung von Jesus in der Mitte, reich verziert mit diversen Edelsteinen.
Legende: Der sogenannte Welfenschatz ist eine bedeutende Sammlung von Goldschmiedearbeiten und stammt ursprünglich aus dem Braunschweiger Dom. Darunter sind Kreuze (Bild), Altäre, Tabernakel und Monstranzen (für die Aufbewahrung von Reliquien). Wikicommons/FA2010

Was ist die Vorgeschichte? Vier jüdische Kunsthändler kauften 1929 den Kirchenschatz vom Braunschweiger Herzogsgeschlecht. Die Herzöge brauchten in der Weltwirtschaftskrise Geld: 7.5 Millionen Reichsmark bezahlten die Kunsthändler; die Juwelierin Alice Koch beteiligte sich als Anteilseignerin mit 25 Prozent an diesem Geschäft. In den 1930er-Jahren wurden Teile des Schatzes in die USA verkauft, der Rest ging 1935 für 4.2 Millionen Reichsmark an den preussischen Staat. Die Rechtmässigkeit dieses Verkaufs wurde 2008 von den Erben der vier Kunsthändler angezweifelt: Sie argumentierten, ohne NS-Verfolgung wäre der Schatz nicht zu diesem Preis verkauft worden. Die deutsche beratende Kommission, die in strittigen Raubkunstfällen Empfehlungen abgibt, urteilte 2014: Es liege kein NS-verfolgungsbedingter Verlust vor. Diese Einschätzung wurde bereits damals heftig kritisiert. Einige Erben versuchten danach, in den USA zu klagen – auch dies vergeblich.

Was passiert jetzt? Das ist nicht ganz klar. Bekannt wurde die Sache, weil der Urenkel von Alice Koch die Geduld verlor und via Anwalt publik machte. Das Nachrichtenmagazin «Spiegel» berichtete, dass die «Stiftung Preussischer Kulturbesitz» (SPK) seit 2022 von den neuen Dokumenten wisse, eine Lösung aber bewusst verzögere. Der Urenkel will den Fall erneut vor die beratende Kommission bringen. Die Stiftung hat die dazu nötige Zustimmung aber noch nicht erteilt. Fachleute schätzen die Verzögerung gegenüber SRF als strategisch ein. Denn die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat kürzlich das Ende der beratenden Kommission verkündet und will strittige Fälle neu über Schiedsgerichte lösen lassen. Wie und wann die loslegen, ist noch völlig ungeklärt.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 04.02.2025, 17:10 Uhr.

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