Drei Golden Globes, rosige Oscar-Aussichten: Der Hype um Jane Campions Netflix-Western «The Power of the Dog» zeigt wieder einmal, dass Campion sich auf Champion reimt. Aber auch, was die Welt spätestens seit Serien wie «Das Damengambit» oder «Bridgerton» weiss. Literaturverfilmungen? Läuft.
Geschichte einer Freundschaft
«Bei manchen Produktionsfirmen machen sie bereits 90 Prozent aus», schätzt Sema Kara, die für die Penguin Random House Verlagsgruppe Lizenzen für Filme und Serien vergibt. Film und Buch mögen seit 1912 und «Oliver Twist» ziemlich beste Freunde sein. Seit Streaming das Business bestimmt, bedient sich die Filmindustrie noch betonter in der weiten Welt der Bücher.
Dafür gibt es gute Gründe. «Die Streamer arbeiten äusserst agil», erklärt Sema Kara. «Sie verfügen über ein grosses Budget und agieren relativ unabhängig von den Förderungsstrukturen.» Das verschaffe ihnen die Möglichkeit, schneller mehr Stoffe zu prüfen und zu entwickeln.
Die Sprache der Zahlen
Für den Bücherboom in der Filmbranche macht Sema Kara, die Frau mit der Lizenz für Lizenzen, noch etwas anderes geltend: Ohne Rückgriff auf literarische Vorlagen wären Streamingdienste kaum in der Lage, das geforderte Quantum Content auszustossen.
Eine Filmproduktion nach Originaldrehbuch dauere zwischen drei und sechs Jahren, rechnet Kara vor. Bildet ein Buch die Basis für ein Skript, lasse sich Zeit und Geld sparen. Und Risiko minimieren: Ein Bestseller mit bestehender Fangemeinde bietet eine gewisse Garantie dafür, dass eine Verfilmung sich auszahlt. «Built-in-Audience» heisst dieser Vorteil in der Fachsprache.
«Verschmelzung zweier Branchen»
Auch beim Schweizer Verlagskrösus Diogenes ist der Streaming-Boom spürbar. «Der Austausch ist intensiver, es werden deutlich mehr Verträge abgeschlossen», sagt Susanne Bauknecht, die bei Diogenes als Ansprechpartnerin für die Vergabe von Filmlizenzen amtet.
Sichtbarer Beleg für die «Verschmelzung zweier Branchen», wie Sema Kara das nennt, sind die Branchenevents an den grossen Buchmessen und Filmfestivals. In Zahlen messbar, so Bauknecht, sei der grösser gewordene Bücherhunger durch Hollywood und Hulu, Disney plus oder Netflix indes kaum.
Gretchenfrage: Bindet man bei Diogenes wegen der gestiegenen Nachfrage nach Filmstoffen andere Autorinnen und Autoren ans Haus? «Die Antwort ist ein klares Nein», entgegnet Susanne Bauknecht. Weder ein Verlag noch die Autorinnen und Autoren wollten Schreiben als Auftragsarbeit verstanden wissen, bestätigt auch Sema Kara.
Grosse Namen, grosse Erwartungen
Fakt ist: Für einen Verlag der Dimension Diogenes, zu dessen Portfolio auch verfilmte Bestseller von Verlagsgrössen wie Donna Leon und Patricia Highsmith, Martin Suter und Patrik Süskind, Thomas Meyer und Bernhard Schlink gehören, ist jede Verfilmung eines Titels ein gut geschmiertes Zubrot. Bei Penguin und Diogenes gilt: Bücher first, Bewegtbild welcome.
Wobei Autorin und Autor genau wie der Verlag vor allem am Verkauf eines Buchs verdienen und in aller Regel nicht an den Einspielergebnissen an den Kinokassen partizipieren. Trotzdem spricht Susanne Bauknecht von einer Win-win-Situation für alle an einer Literaturverfilmung beteiligten Parteien.
«Zweites Leben für ein Buch»
Ist eine nächste, sagen wir, Patricia-Highsmith-Verfilmung für Diogenes mehr als ein Mega-Marketingvehikel für einen Ladenhüter aus dem letzten Jahrhundert? «Ein Film haucht einem Buch ein zweites Leben ein», sagt Susanne Bauknecht.
Nur schon, weil es in filmfangerechter Form einer sogenannten «Tie-in-Ausgabe» wieder in den Buchläden zum Kauf aufliege. Alter Titel, neues Publikum – eine Wechselwirkung der wechselseitig wertsteigenden Art.
Und wann ist mit der Verfilmung von «Hard Land» zu rechnen, dem jüngsten Roman von Diogenes-Wunderkind Benedicts Wells? Heiterkeit am anderen Ende der Leitung. «Wann kann ich natürlich nicht sagen», lächelt Susanne Bauknecht. «Aber dieser Film wird kommen.»
Ob Jane Campion angebissen haben wird? Fortsetzung folgt.