Am Anfang dieses Buches heisst die Hauptfigur Nikki. Später wird sie sich in Johann umbenennen. Dann geht es ihr allmählich besser. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.
Nikki duscht nur im Dunkeln. Vermeidet jeden Blick in den Spiegel. Selbst an den heissesten Sommertagen wagt sie sich nur mit mehreren Schichten bekleidet an den Strand. Dort beneidet sie all die anderen um ihre Unbefangenheit, um ihr Wohlfühlen im eigenen Körper.
Endlich als Mann gesehen werden
Nikki hingegen hasst ihren Körper und bezeichnet sich als «Wolpertinger». Wolpertinger sind Fabelwesen, die sich aus verschiedenen Tieren zusammensetzen: oben Ente, unten Eichhörnchen zum Beispiel.
Genauso kommt sich die Hauptfigur über weite Strecken des Romans vor. Bis sie es endlich schafft, sich einzugestehen, dass sie trans ist. Dass ihr Fühlen nicht mit dem übereinstimmt, was die Aussenwelt sieht. Wird Nikki mit «Frau» angesprochen, zuckt sie zusammen.
Nikki, nun Johann, unterzieht sich einer Hormonbehandlung. Die Stimme wird tiefer, der Körper bekommt Kanten, und der Bartwuchs, auf den er so ungeduldig gewartet hat, setzt ein. Brüste und Gebärmutter lässt er operativ entfernen.
Ein kräftezehrender Prozess
So viel über die Handlung zu verraten, ist kein Spoiler. Denn «Paradiesische Zustände» ist vor allem ein Roman über den Prozess, weniger übers Ergebnis. Dass die Hauptfigur am Ende «Johann» heissen und ein viel glücklicheres Leben haben wird als zuvor – das erfährt man schon am Anfang. Das Erlebte wird dann in einer Rückblende erzählt.
Beim Schreiben des Romans ist mir noch einmal bewusst geworden, wie kräftezehrend dieser Prozess damals für mich war.
Diese Rückblende zeigt, wie qualvoll es ist, sich im eigenen Körper nicht zu Hause zu fühlen. Sie zeigt auch den Aufwand, den es bedeutet, eine Transition durchzumachen, also geschlechtsangleichende Massnahmen vornehmen zu lassen. Nicht zuletzt bekommt man einen Eindruck von den zahlreichen, mitunter entwürdigenden Behördengängen, die Betroffene absolvieren müssen.
Humorvoll erzählt
So beschwerlich all das ist: Der Autor Henri Maximilian Jakobs hat seinen Debütroman mit allerhand Ironie und Humor versehen. Denn seine Hauptfigur spricht mit scharfer, oft satirischer Zunge. Sie nimmt alles auf die Schippe, egal, ob es um die eigene Befindlichkeit geht oder um die ach so hippe Berliner Start-up-Szene.
Johann arbeitet nämlich in einer «Start-up-Wurstbude». Dort werden zwar nur Pommes und Würstchen verkauft (und Ingwer-Shots zum Gutfühlen nach dem Essen), aber das «Start-up» im Firmennamen muss natürlich trotzdem sein.
Henri Maximilian Jakobs ist nicht nur Autor, sondern auch Musiker und Schauspieler. Er lebt in Berlin und isst, wie seine Hauptfigur, gerne Pommes. Ausserdem teilt er mit ihr die Erfahrung einer Transition.
Queere Coming-of-Age-Geschichte
«Beim Schreiben des Romans ist mir noch einmal bewusst geworden, wie kräftezehrend dieser Prozess damals für mich war», sagt Jakobs. Sein Ziel war es, ein Buch zu schreiben, das ihm als jungen Menschen womöglich selbst geholfen hätte: «Mir hätte es damals gut getan zu merken, dass es anderen genauso geht – und vor allem, dass trotzdem ein glückliches Leben möglich ist.»
Mit «Paradiesische Zustände» ist Jakobs aber nicht nur ein unterhaltsamer Roman über eine Transition gelungen. Es ist auch ein Buch über belastbare Freundschaften, über schwierige Entscheidungen. Und über den Stolz auf den ersten, zarten Bartflaum.