«Rude Girl» ist die Geschichte einer Aussenseiterin. Die junge Frau mit Wurzeln in der Karibik wächst in den USA auf und ist stets auf der Suche nach Zugehörigkeit. Mit den selbstbewussten afroamerikanischen Mädchen ihrer Klasse kann sie ebenso wenig anfangen wie mit den vermeintlich coolen weissen Mitschülerinnen.
Sie sucht ihren eigenen Weg und wird schliesslich ein Skinhead – in der linken Skinhead-Musikszene wohlgemerkt. Diese Coming-of-Age-Geschichte einer schwarzen Frau stammt aus der Feder der weissen deutschen Comicautorin Birgit Weyhe.
Die Debatte im Nacken
Das wirft unweigerlich kritische Fragen auf – dessen ist sich die Autorin bewusst. «Ich hatte das erste Mal ganz viele Unsicherheiten, weil mir an diesem Stoff nichts vertraut war. Weder komme ich aus dem Einwanderungskontext der Karibik, noch bin ich eine USA-Spezialistin. Mit der Debatte der kulturellen Aneignung im Nacken musste ich für mich einen Weg finden», sagt Birgit Weyhe.
Den Weg, den Birgit Weyhe vorbei an den vielen Fallstricken gefunden hat, ist ausserordentlich elegant. Sie erscheint zu Beginn des Comics selber als gezeichnete Figur und spricht zur Leserschaft.
In Sprechblasen sagt sie sichtlich beleidigt, sie sei mit Vorwürfen der kulturellen Aneignung konfrontiert worden und wolle ab jetzt nur noch Geschichten über weisse deutsche Frauen im mittleren Alter erzählen.
Die Hauptfigur wird zur Lektorin
Doch es kommt anders. Die Autorin lernt die US-amerikanische Germanistikprofessorin Priscilla Layne kennen und stellt fest, dass sich die Geschichte der Professorin ungemein gut für einen Comicband eignet.
Der zweite Trick von Birgit Weyhe: Sie lässt Layne während der Entstehung des Comics immer wieder auf das Manuskript schauen und macht somit die Hauptfigur zur Lektorin. Ihre Kommentare baut Birgit Weyhe jeweils am Ende einer Episode in den Comic ein.
«Das war für mich ein grosses Risiko, weil ich überhaupt nicht wusste, ob das funktioniert», gibt Weyhe zu. Sie habe auch Rückmeldungen erhalten, dass die Kommentarteile lästig seien und den Flow der Erzählung unterbrechen. Trotzdem hat sie sich entschieden, diese zu belassen.
Fehler transparent machen
Eine gute Entscheidung, denn durch die Kommentare fliesst der Lernprozess der Autorin in die Geschichte ein. Zum Beispiel fragt sich Priscilla Layne einmal, warum alle Figuren, egal ob Weisse oder Schwarze, ohne Hautfarbe gezeichnet sind. Das sei zwar gut gemeint, doch es suggeriere, dass Hautfarbe keine Rolle spiele.
Dieser Input führt dazu, dass die Zeichnerin ab da die schwarzen Protagonistinnen mit warmen Ockertönen koloriert. An einer anderen Stelle erklärt Layne, dass es in den USA auch Ausgrenzung unter People of Color gibt. Einwanderer aus Afrika oder der Karibik würden von der afroamerikanischen Community weniger akzeptiert.
Einen statt ausgrenzen
Mit der Hilfe von Priscilla Layne gelingt Birgit Weyhe inmitten der Debatte über kulturelle Aneignung ein liebevoll gezeichnetes Porträt eines Menschen, der seinen Platz in der Welt sucht und findet.
«Jeder Mensch, egal welcher Religion, Nation oder Hautfarbe, will letztlich geliebt werden», sagt Weyhe. Aber gerade bei solch konfrontativen Themen gehe es meist um Abgrenzung – und nicht darum, was uns eine.