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Franz Hohler als Schriftsteller. Ein Gespräch zum Achtzigsten
Aus Kultur-Talk vom 01.03.2023. Bild: Keystone / Christian Ehrenzeller
abspielen. Laufzeit 30 Minuten 42 Sekunden.

Schriftsteller und Kabarettist Franz Hohlers Hang zur schlimmstmöglichen Wendung

Vom «Totemügerli» bis zum Untergang von Zürich: Franz Hohlers Geschichten enden oft katastrophal. Am 1. März wird der wohl bekannteste Wortkünstler der Schweiz 80 Jahre alt. Er verspürt etwas Altersmilde.

Ins kulturelle Gedächtnis der Deutschschweiz hat sich Franz Hohler vor allem als Kabarettist eingeschrieben, am nachhaltigsten mit dem «Totemügerli», dieser Schauergeschichte in erfundenem Berndeutsch.

Das Unheimliche webt er so geschickt in seine Geschichten ein wie das Moralisieren. Sein politisches Engagement, etwa gegen die Kernkraft, bleibt ebenso in Erinnerung wie die Kindersendung «Franz und René».

Spoken Word-Künstler avant la lettre

Er selbst sieht sich in erster Linie als schreibenden Autor, wie Franz Hohler im Gespräch betont. Aber schon als Kind habe er das Gefühl gehabt, eine Geschichte sei erst dann fertig, wenn er sie vorgetragen habe. So kam die Bühne als eine Art der Präsentation seiner Literatur hinzu.

zwei Männer mit einem Karton über dem Kopf, beim Gesicht ein Quadrat ausgeschnitten, sitzen auf Sofa.
Legende: Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im TV: Die Kindersendung «Franz und René» hat die Nachkriegsgenerationen geprägt. (Franz Hohler links, René Quellet rechts im Bild) SRF

Spoken Word, wie man es heute nenne – also literarische Kurzformen, die auf der Bühne performt werden – habe er schon immer praktiziert. Der sanfte Spott über den terminologischen Modernisierungsschub einer alten Tradition ist nicht zu überhören.

Schon 1973 beschrieb er den Weltuntergang

In der Tat hat Franz Hohler schon in den frühen 1970er-Jahren mit seinen Cello-Chansons Sprache, Rhythmus und Musik miteinander vereint, ähnlich wie später der Rap. Seine Nummer «Der Weltuntergang» aus dem Jahr 1973 war sprachlich so virtuos komponiert und vorgetragen, dass sie noch heute in jedem Slam-Wettbewerb gute Chancen hätte.

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Aus dem Archiv: «Der Weltuntergang» von Franz Hohler
Aus Radio SRF 1 vom 24.08.2020.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 48 Sekunden.

Sie verblüfft aber auch inhaltlich, durch die unaufhaltsame Konsequenz, mit der das Verschwinden irgendeines unangenehmen Käfers auf irgendeiner abgelegenen Insel eine Kettenreaktion auslöst, die am Ende das Ökosystem der Welt aus dem Gleichgewicht treibt. Und dies in einer Zeit, als sich eine Umweltbewegung erst zaghaft formierte.

Hang zum Schlimmstmöglichen

Parallel zu seinen Bühnenprogrammen veröffentlichte Hohler kontinuierlich Erzählbände. Charakteristisch war seit je seine Neigung hin zum Katastrophalen. Die Formulierung von Friedrich Dürrenmatt, nach der eine Geschichte erst dann zu Ende erzählt ist, wenn sie die «schlimmstmögliche Wendung» genommen hat, war für Franz Hohler immer eine griffige Leitlinie fürs Schreiben, wie er sagt.

Über Franz Hohler

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Legende: Keystone / Christian Beutler

Seit über 60 Jahren schreibt und erzählt Franz Hohler Geschichten. In einer Dankesrede nannte er sich selbst einmal einen «literarischen Allgemeinpraktiker». Eine treffende Bezeichnung für einen, der sein Leben dem geschriebenen, gesprochenen und gesungenen Wort verschrieben hat.

Zu seinem Gesamtwerk gehören Gedichte, Kurzgeschichten, Erzählungen und Romane für Kinder und Erwachsene. Vierzehn Soloprogramme hat er auf die Bühnen gebracht, er verantwortete Filme, Fernseh- und Radiosendungen, Theaterstücke und Hörbücher.

Besprochene Bücher und CDs:

  • Franz Hohler: «Wegwerfgeschichten. Vorsicht – mit Totemügerli!». Zytglogge, 1974 (8. Auflage).
  • Franz Hohler: «Die Rückeroberung. Erzählungen». btb, 2012.
  • Franz Hohler: «Der Rand von Ostermundigen. Geschichten». Wagenbach, 2005.
  • Franz Hohler: «Der neue Berg. Roman». btb, 2008.
  • Franz Hohler: «52 Wanderungen». btb, 2006.
  • Franz Hohler: «Der Enkeltrick. Erzählungen.» Luchterhand, 2021.
  • Franz Hohler: «Rheinaufwärts». Luchterhand, 2023.
  • Franz Hohler: «Der Flug nach Milano». Hörbuch als CD, Zytglogge, 2011.

Das gilt auch für die wie Kindergeschichten daherkommenden «Wegwerfgeschichten» aus dem Jahr 1974. Wenn ein Pressluftbohrer und ein Ei darüber streiten, wer der Stärkere von ihnen sei, dann bohrt am Ende der Pressluftbohrer kurzerhand «das Ei in tausend Stücke». Die Überraschung bleibt aus. Wir erleben die Banalität der Gewalt.

Die Macht der Sinnlosigkeit

Aus kleinen Katastrophen werden grosse. «Ich wollte wissen, wie es wäre, wenn ein sinnloser Satz die Macht ergreift», erinnert sich Hohler. Der sinnlose Satz lautet «Das ist der Rand von Ostermundigen». Die gleichnamige Geschichte kam 1973 heraus. Tatsächlich ausgesprochen hat ihn ein Bühnentechniker auf der Fahrt zu einem Auftritt.

In der Geschichte schleicht sich der Satz in Telefonate, in die Medien und selbst in Reden hinein. Kein Kraut ist gegen ihn gewachsen. Der Menschheit bleibt nichts anderes übrig, als mit ihm zu leben. Aus heutiger Sicht wirkt das wie eine Vorahnung, bedenkt man all die ungerufenen Nachrichten unserer digitalen Geräte. Keine Prophetie, relativiert Franz Hohler: «Der Satz drängte sich mir einfach auf. Da dachte ich, der will erzählt werden.»

Gestörter Normalbetrieb

Viele seiner Erzählungen und Lieder driften aus der Alltagsnormalität mit unerbittlicher Folgerichtigkeit und quasi im Plauderton ins Monströse ab. Im Lied «Es si alli so nätt» von 1979 sind erstaunlicherweise alle stinkfreundlich, von den Nachbarn über die Mächtigen im Land bis zum Henker, der den Sänger im Traum aufs Schafott führt.

Je ungeheuerlicher etwas ist, desto normaler möchte ich es beschreiben.

Was stört Franz Hohler denn am Normalbetrieb, dass dieser so regelmässig aus dem Ruder laufen muss? «Es ist grundsätzlich so, dass Geschichten mehr mit dem Unglück zu tun haben als mit dem Glück. Wenn man eine gewisse Zufriedenheit als Normalzustand ansieht, dann ist die Störung der Zufriedenheit interessanter, als von «dene wos guet geit» zu hören, um mit Mani Matter zu sprechen.»

Die Natur schlägt zurück

Diese Zufriedenheit wird in Hohlers Geschichten zuverlässig gestört. Seine Wahlheimat Zürich zum Beispiel geht gleich zweimal an den Mächten der Natur zugrunde. In der Erzählung «Die Rückeroberung» von 1982 wird Zürich innerhalb von wenigen Monaten von Adlern, Hirsch- und Wolfsrudeln und einer unbezähmbar wuchernden Urwaldflora erobert.

Eine Idylle? Mitnichten! Die Strassen werden unpassierbar. Wölfe reissen Kindergärtner. Wer hier weiterleben will, muss seine Kinder bewaffnet in die Schule begleiten. Also eine Dystopie? «Es ist vor allem eine Geschichte und eine Fantasie», sagt Hohler heute dazu.

Schwarzweiss-Foto rechts hockt ein Mann mit einem Busch vor sich und Urkunde in der Hand. Links steht ein Mann, lächelnd
Legende: Franz Hohler (rechts) erhält 19882 für «Die Rückeroberung» den erstmals verliehenen «Grünen Zweig» vom WWF. Keystone / Str

Zur Frage, warum das Ungeheuerliche in einem so beiläufigen Konversationsstil daherkomme, meint er: «Je ungeheuerlicher oder unwahrscheinlicher etwas ist, desto normaler möchte ich es beschreiben. Der Schrecken liegt in der Handlung selbst und muss nicht durch die Erzählart forciert werden.»

Gemeint sind wir persönlich

Auch in seinem ersten Roman «Der neue Berg» von 1989 geht die Stadt zugrunde: Am Rand von Zürich bricht ein Vulkan aus, der alles unter sich begräbt.

Die Geschichte handelt vor allem von den Menschen und ihrem Umgang mit dem Unvorstellbaren. Wie Medien und Politik der möglichen Gefahr ausweichen. Wie die Menschen das Grössere durch ihre Alltagssorgen hindurch nicht sehen. Ein junger Geologe, gefragt, was es bedeute, dass sich etwas so Unwahrscheinliches gerade hier anbahne, antwortet: Das bedeutet, dass wir persönlich gemeint sind.

Diese Formulierung kommt in Franz Hohlers Werk immer wieder vor. Er meine damit, dass man sich nicht als Zuschauer sehen möge, sondern als Teilnehmer. Es gehe um die alte Existenzfrage: «Wozu bin ich da? Was will die Welt von mir?»

Ein Kabarettist als Terrorist

Franz Hohler war und ist ein aktiver Teilnehmer. Er gibt zu, ein Moralist zu sein, der seine Zuschauerinnen und Leser aufrütteln will.

Im Soloprogramm «Flug nach Milano» von 1985 wird er auf der Bühne zum Terroristen, der ein Flugzeug entführt. Er will den Bundesrat zwingen, «die Schweiz» in «das Schweiz» umzutaufen, weil wir unser Land nur noch wie eine Sache behandeln.

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Aus dem Archiv: Franz Hohler im Interview zum «Flug nach Milano»
Aus Schauplatz vom 25.01.1985.
abspielen. Laufzeit 10 Minuten 21 Sekunden.

Er selbst engagierte sich zwar lauthals gegen die Kernkraft, gegen den Schnüffelstaat und in den 1990er-Jahren für die Solidarität mit dem kriegsversehrten Sarajevo. Aber er war stets gegen jede Gewaltanwendung. Seine Waffe ist das Wort.

«Ich habe die Wirklichkeit, die ich sah und erlebte, in einem starken Kontrast gesehen zur Wirklichkeit, die ich mir vorstellen konnte.» Ihn interessierte, wie aus diesem Spannungsfeld der Terrorismus entstehen kann.

Der Geist in der Maschine

Neben dem Politischen treibt Hohler das Gespenstische und Unerklärliche um. Alte Mythen und Sagenfiguren greifen wie die behaarte Hand des Grauens in unseren glatten Alltag ein. Der Realismus mischt sich mit Fantastik, wie das Beispiel «Der Rand von Ostermundigen» gezeigt hat.

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Auch im jüngsten Erzählband «Der Enkeltrick» von 2021 greift die Technik auf unerklärbare Weise ein. Ein deaktiviertes Handy sendet Nachrichten, an denen sich der Erzähler zu orientieren beginnt. Dabei kommt er beinahe zu Tode.

Das wunderbare Wanderjahr

Die typische Mischung aus Bodenständigkeit, bissigem Humor und überbordender Fantasie, das sogenannte «Hohlern», findet sich also auch in den jüngeren Erzählungen. Aber im Leben und Werk des Autors hat sich einiges verändert. Von der Bühne hat sich Franz Hohler schon vor über 20 Jahren zurückgezogen.

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Aus dem Archiv: Franz Hohler über das Wandern
Aus Aeschbacher vom 24.02.2005.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 13 Minuten 12 Sekunden.

Zu seinem 60. Geburtstag 2003 hatte er sich eine einjährige Auszeit gegönnt und wöchentlich eine Wanderung unternommen. Das Buch «52 Wanderungen» zeugt davon. Das Wandern sei ein uraltes Motiv, auch in literarischer Form.

Hohler nennt den Schriftsteller Robert Walser als Inspiration. Wandern ist für Hohler «der ganz kleine Freiheitsbeweis des Menschen, der eigentlich anderes zu tun hätte».

Mein Freund, der Fluss

Seine Wanderungen seien mit dem Alter etwas kürzer geworden, räumt Hohler ein. Aber die Welt nehme er trotzdem wahr. In der Tat: Soeben ist mit «Rheinaufwärts» ein weiteres «Reisejournal» erschienen. In Etappen, verteilt über fast zweieinhalb Jahre, wandert Hohler von Schaffhausen bis zu einer der Rheinquellen. Dabei notiert er, was ihm Bemerkenswertes begegnet.

Das Wort Altersmilde ist mir nicht fremd.

Das Weltgeschehen von der Pandemie bis zum Ukrainekrieg läuft im Hintergrund mit. Hauptakteur ist der Rhein in seinen wechselnden Zuständen: als See, gezähmt im Kanal, sprudelnd als Bergbach.

Der Fluss wird Hohler zum Freund, der ihn gurgelnd begrüsst. Am Laj da Tuma angekommen, erreicht den Autor, wie es heisst, von weit her das Wort Andacht. «Ich gehe zum See hinunter, knie am Ufer nieder, streichle mit der Hand seine Oberfläche und wünsche dem Wasser eine gute Reise.»

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«Rheinaufwärts» – das neue Buch von Franz Hohler
aus Kultur kompakt vom 01.03.2023. Bild: SRF / Sebastien Thibault
abspielen. Laufzeit 22 Minuten 41 Sekunden.

In Erinnerung an die Zerstörungskraft der Natur in früheren Werken stellt man fest, dass Franz Hohler Blick milder geworden ist. «Es ist ganz natürlich, dass ich im Alter etwas zurückhaltender werde», gibt er zu, mit dieser Formulierung sichtlich ringend.

Franz Hohler auf «Ansichten»

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Legende: SRF/LUKAS MÄDER

Mehr zum Lesen und Hören über den Schriftsteller, Kabarettisten und Liedermacher Franz Hohler finden Sie auf der SRF-Literaturplattform «Ansichten».

Der Biss des früheren Aktivisten mit seinem moralischen Furor blitzt noch da und dort auf. Etwa wenn er über die mickrigen Restwassermengen sinniert, welche die Stromwirtschaft den Bächen und Flüssen zugesteht. Als literarisches Ich ist der Wanderer aber kein Teilnehmer, sondern ein Zuschauer. Er beobachtet, registriert, geht vorüber.

Die Katastrophe bleibt aus

Nicht einmal die schlimmstmögliche Wendung ist ihm noch heilig: In der Erzählung «Das weisse Spitzchen» von 2021 muss ein Mann in fortgeschrittenem Alter partout das Weisshorn erklimmen, trotz mangelnder Fitness und ungünstiger Verhältnisse.

Entgegen der Erzähltradition, explizit auch gegen die Erwartung des Autors selbst, wie es im Text schelmisch heisst, kommt der Berggänger heil herunter und ist am Ende sogar glücklich.

Was ist geschehen? «Ich habe diesen Menschen mit seinem blödsinnigen Wunsch im Verlauf der Erzählung liebgewonnen. Da hat sich in mir die Gewissheit verfestigt: Nein, den lassen wir leben!», erklärt der Schriftsteller. Und ergänzt: «Das Wort Altersmilde ist mir nicht fremd. Man ist dankbar, dass man noch lebt und das Wachstum der Enkelkinder erlebt.»

SRF-Sendungen zu Franz Hohlers 80. Geburtstag

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Radio SRF 1, Dini Mundart Schnabelweid, 23.01.2023, 20:03 Uhr.

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