Das Wichtigste in Kürze:
- Schriftstellerin Theresia Enzensberger ist die Tochter von Hans Magnus Enzensberger.
- Ihr erster Roman spielt in den 1920er-Jahren, wird aber mit vielen Verweisen auf die Gegenwart erzählt.
- «Blaupause» ist die Geschichte einer angehenden Architektin, die sich am Bauhaus in Weimar gegen ihre Kommilitonen behauptet.
Als Walter Gropius das Bauhaus 1919 in Weimar gründete, hatte er hehre Ziele vor Augen: Absolute Gleichberechtigung solle herrschen. Es solle keine Unterschiede geben zwischen dem «schönen» und dem «starken» Geschlecht.
Doch das Gegenteil von gut ist gut gemeint: Theresia Enzensberger zeigt in ihrem Roman-Debüt, dass Frauen natürlich auch am Bauhaus einst anders behandelt wurden als Männer. Lieber in die Weberei abgeschoben wurden, als in der Architektur-Klasse zu bestehen.
Am Bauhaus warten Esoteriker und Charmeure
Enzensbergers Protagonistin Luise Schilling kommt aus einem wohlhabenden Elternhaus in Berlin-Charlottenburg. Ihr Vater ist ein reicher Unternehmer, sie aber träumt davon, Architektin zu werden. Gegen den Willen der Eltern nimmt sie Anfang der 1920er-Jahre ihr Studium am Bauhaus in Weimar auf.
Dort trifft sie Esoteriker in Mönchskutten und kämpferische Kommunisten. Sie verliebt sich – erst in Jakob, der sich ihr permanent entzieht, dann in Hermann, einen Charmeur, der schon bald sein wahres Gesicht zeigt.
Grosser Name, grosse Pläne
Der Name Enzensberger lässt aufhorchen – Theresia Enzensbergers Vater ist der Lyriker und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger.
Das «Schriftstellerkind», wie sie jüngst in der Presse bezeichnet wurde, hat sich allerdings von seinem grossen Namen nicht abschrecken lassen.
Im Gegenteil – auch sie ist Journalistin, auch sie hat vor einiger Zeit ein eigenes Magazin gegründet, das «Block Magazin». Und nun hat sie ein literarisches Debüt vorgelegt.
Geschichte einer Emanzipation
Was wie ein historischer Roman im Bauhaus-Milieu angelegt ist, entpuppt sich schnell als moderne Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau, die ihren Platz im Leben sucht.
In Weimar angekommen, schliesst sich Luise den «Itten-Jüngern» an – das sind die Anhänger des Schweizer Bergbauernsohns und Bauhaus-Lehrers Johannes Itten, die dem «Mazdaznan-Kult» frönen. Sie meditieren, machen Körperübungen, die heute mit Yoga vergleichbar wären, essen vegetarisch, leben asketisch.
Von der Itten-Jüngerin zur Kommunistin
Doch bald schon werden in Luise leise Zweifel wach, was die Lehren von Johannes Itten betrifft. Itten erscheint ihr als Scharlatan, der sich selbst nicht an seine eigenen Regeln hält. Auch kritisiert sie, dass ihre Kommilitonen beispielsweise keine Zeitung lesen und sich nur mit sich selbst beschäftigen.
Da kommt ihr die Bekanntschaft mit Friedrich gerade recht. Friedrich ist überzeugter Kommunist – und verantwortlich dafür, dass Luise Hermann kennenlernt, ihre zweite Liebschaft am Bauhaus. Die Kunstschule hat inzwischen ihren Sitz nach Dessau verlegt.
Jobben, feiern, planen
Ihr Leben wandelt sich: Ihre Familie unterstützt sie nicht mehr mit Geld, sie muss in einer Kneipe jobben und wird vom Wirt regelmässig begrapscht.
Andererseits lebt sie gleichzeitig mit Hermann quasi in Saus und Braus, sie saufen, gehen auf wilde Parties, nehmen Koks. Nebenbei arbeitet Luise an einem eigenen Entwurf für eine Wohnhaus-Siedlung.
Gut eingebettet
Neben der persönlichen Entwicklungsgeschichte Luises und Passagen zu ästhetischen Grundlagen des Bauhaus-Stils lässt Theresia Enzensberger wie nebenbei die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen jener Jahre der Weimarer Republik aufscheinen.
Das wirkt nie belehrend, sondern ist immer sanft in die Handlung eingebettet. Den Antisemitismus im Nationalsozialismus beispielsweise deutet sie nur an, wenn er relevant fürs Geschehen wird.
Ohne Schnörkel erzählt
Dabei hat man beim Lesen immer unsere Gegenwart vor Augen. Enzensberger erzählt aus der Ich-Perspektive von Luise Schiller – und das im Präsens. Diese Gegenwärtigkeit unterstreicht sie noch, indem sie eine heutige Sprache wählt: Die Geschichte ist schnörkellos, unprätentiös, sachlich erzählt.
An einer Stelle nennt ein Freund von Luise die Polizisten «Bullen», ja sogar von «Netzwerk» oder von «Emanze» ist an anderer Stelle die Rede – alles Begriffe, die erst weit nach jener Zeit Eingang in unsere Sprache fanden.
Nahe an der Gegenwart
Dieser Roman ist vieles zugleich: Ein weiblicher Künstlerroman, ein Bauhaus-Campus-Roman, das Porträt über die Gruppe à la Monte Verità um Johannes Itten.
In erster Linie allerdings ist «Blaupause» die Befreiungsgeschichte einer jungen Frau – passend zur Sexismus-Diskussion, die aktuell gerade allerorts wieder geführt wird.
- Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 52 beste Bücher, 30.7.17, 11:03 Uhr