Worum geht's? Mit seinen Büchern prägt Suhrkamp seit Jahrzehnten das geistige und kulturelle Leben im deutschsprachigen Raum. Das traditionsreiche Verlagshaus Suhrkamp hat am 4. Oktober mitgeteilt, dass der Unternehmer Dirk Möhrle alle Anteile des Verlags übernimmt. Möhrle ist nach eigenen Angaben in den Branchen Immobilien, Luftfahrt, Medien und Unternehmensbeteiligung aktiv. Er hält seit zehn Jahren 39 Prozent der Suhrkamp-Aktien. Ab 1. November übernimmt Möhrle zusätzlich die Anteile der Familie Ströher sowie jene von Ulla Unseld-Berkéwicz. Damit wird er alleiniger Inhaber des traditionsreichen Verlagshauses.
Was bedeutet das für den Verlag? Das wird sich zeigen. Der Rückzug von Ulla Unseld-Berkéwicz ist für den Verlag aber eine Zäsur. Unseld-Berkéwicz ist die Witwe des langjährigen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld. Mit dem Verkauf ihrer Anteile ist der Name Unseld bei Suhrkamp nach rund sieben Jahrzehnten Geschichte. Anscheinend gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen dem aktuellen Verlagsleiter und Ulla Unseld-Berkéwicz sowie der Ströher-Familie schwierig. Das sagte Verlagsleiter Jonathan Landgrebe in einem Interview mit «Zeit Online». Dass sich Unseld-Berkéwicz und die Ströhers jetzt zurückziehen, könnte im besten Fall Ruhe in den Verlag bringen.
Entscheidet Möhrle in Zukunft allein, was mit dem Verlag passiert? Nein, Dirk Möhrle wird zwar Eigentümer von Suhrkamp, aber nicht Verlagsleiter. Das heisst, er ist nicht derjenige, der das Programm bestimmt. Als Inhaber kann Möhrle aber beeinflussen, in welche Richtung sich der Verlag bewegt. Dirk Möhrle gilt als literaturinteressiert. Er ist vor allem aber ein ökonomisch denkender Unternehmer. Bei Suhrkamp erhofft man sich durch Möhrle finanzielle Stabilität.
Befindet sich der Suhrkamp Verlag in einer finanziellen Schieflage? 2022 hat Suhrkamp ein Minus von fast 270’000 Euro gemacht. Die aktuellen Zahlen sind noch nicht veröffentlicht worden. Aber laut der «Süddeutschen Zeitung» braucht Suhrkamp dringend Geld: Darum habe der Verlag kürzlich die legendäre Villa des langjährigen Verlegers Siegfried Unseld verkauft. Suhrkamp bestreitet, dass der Verkauf aus einer finanziellen Not passiert ist und dass man in einer existenziellen Krise stecke. Aber Fakt ist: Der Büchermarkt hat es schwer. Die Produktionskosten sind gestiegen, die Verkaufszahlen gehen zurück.
Der Suhrkamp Verlag galt jahrzehntelang als Flaggschiff der deutschsprachigen Verlage. Was ist daraus geworden? Suhrkamp ist unverändert eines der renommiertesten Verlagshäuser. Aber die Zugpferde der viel zitierten Suhrkamp-Kultur des 20. Jahrhunderts ziehen nicht mehr wirklich. Klassiker wie Frisch, Hesse oder Brecht, die alle bei Suhrkamp erscheinen, werden immer weniger gelesen. Suhrkamp hat durchaus noch ökonomische Erfolge, etwa mit den Büchern von Elena Ferrante. Dennoch fehlt es dem Verlag laut dem Bericht der «Süddeutschen Zeitung» an vergleichbaren Verkaufsschlager.
Suhrkamp braucht Bestseller, die das ganze Programm quersubventionieren? Das ist bei so gut wie jedem Verlag so. Es ist nicht die Aufgabe des neuen Suhrkamp-Inhabers Dirk Möhrle, neue Autorinnen und Autoren ins Boot zu holen. Aber im besten Fall bringt er Stabilität, damit die Entscheidungen zum Verlagsprogramm besonnen getroffen werden können.