Auf den ersten Seiten des ersten Buches ist ein Bild von vier Bubis abgedruckt, die auf einem Denkmal herumturnen und dabei frech in die Kamera grinsen. Die Bildlegende verrät: «Kuno, Küse, Pesche und Sam auf einem Schulreisli an den Gig der Pretenders im Volkshaus Zürich, Juni 1984.» Das Bild aus dem Gründungsjahr von Züri West macht den Auftakt zu einer klassischen Fotobiografie, die das 40-jährige Bandbestehen abbildet.
Herkulesarbeit
Rock’n’Roll in Bildern sei das, darum nennt Samuel Mumenthaler dieses Buch das «laute» Buch. Mumenthaler sass bei der Züri-West-Urformation von 1984 bis 1986 am Schlagzeug und hat das Buchprojekt angestossen. «Es war eine Herkulesarbeit, aus Tonnen an Fotomaterial eine Auswahl zu treffen.»
Rund 1200 Konzertfotos, Bandbilder, Aufnahmen aus Garderoben und Studios dokumentieren den Werdegang der Züris. Aus den Bubis werden wilde Kerle, die in versifften Abbruchhäusern die Rockstars markieren, bevor sie als gestandene Herren die grossen Festivalbühnen bespielen.
Das laute Buch ist aber nicht einfach nur eine Bandbiografie in Bildern, sondern dokumentiert anhand von Flyern und Plakaten auch den Zeitgeist der 1980er-Jahre. Es war das Jahrzehnt der Jugendunruhen in Zürich und auch in Bern entstand eine alternative Szene, die Freiräume forderte. Mittendrin: Züri West. «Ohne Szene keine Züri West», sagt Mumenthaler.
«Kuno Lauener ist ein Literat»
Im zweiten, «leisen» Buch sind sämtliche Songtexte von Kuno Lauener abgedruckt. Es sei an der Zeit gewesen, diesen eine besondere Plattform zu verschaffen, sagt Mumenthaler. «Kuno Lauener ist ein Literat. Verschiedene Stimmen fragen schon länger, wann er endlich einen Literaturpreis erhalte.»
Auch wenn nicht jeder Text aus der Anfangszeit pulitzerpreisverdächtig ist, so hat Lauener tatsächlich über die Jahre einen prägnanten, vielschichtigen, oft ironisch-melancholischen und immer sehr poetischen Textstil entwickelt.
Die eigentliche Überraschung des leisen Buches sind allerdings die abgebildeten Zeichnungen, die ebenfalls von Kuno Lauener stammen. Sie offenbaren eine Seite des Züri-West-Frontmanns, die noch nicht an die Öffentlichkeit getragen wurde.
Lauener kann nicht nur bestechend texten, sondern auch aussergewöhnlich gut zeichnen. Manches wirkt skizzenhaft und wurde auf Servietten oder Hotelbelege gekrizelt, wodurch eine charmante Unmittelbarkeit entsteht. Andere Zeichnungen sind sorgfältig und detailliert ausgearbeitet. Einige sind rätselhaft und skurril, andere poetisch oder abgründig.
Goldgrube für Fans
Für Züri West Fans dürften die rund 1000 Seiten und fast 4.5 Kilo Material eine Goldgrube sein. Alle andern dürften sich zumindest an der Ästhetik der beiden «Schinken» erfreuen. Grafiker Chris Eggli hat sie in einem mehrheitlich schwarz-weiss-rot gehaltenen Farbkonzept stilsicher gestaltet.
So ist ein hübsches Stück Schweizer Musikgeschichte entstanden, bei dem aber auch Wehmut mitschwingt. 2021 hat Kuno Lauener öffentlich gemacht, dass er an Multipler Sklerose erkrankt ist. Konzerte will die Band keine mehr spielen. Vielleicht sind die beiden Bücher also das letzte Werk aus dem Hause Züri West.
Falls es so sein sollte, dann wären sie ein stilvoller Abschluss der 40-jährigen Bandkarriere. Oder wie es Kuno Lauener vielleicht zusammenfassen würde: «Suberi Büez.»