«Beyoncé hat etwas Übermenschliches. Sie ist eigentlich zu perfekt, zu schön, zu begabt, um wahr zu sein», sagt die Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann. Denn die 43-jährige Sängerin aus Texas weiss Kameras und Scheinwerfer zielsicher einzusetzen. Hinter ihrem Erfolg stehe viel Arbeit, erklärt Eismann, die sich unter anderem mit Beyoncés Aufstieg zur Pop-Ikone beschäftigt.
«Man hat sie wegen ihrer extremen Disziplin und ihrer absoluten Arbeitsethik auch schon mal als Roboter bezeichnet», sagt Eismann. Ihr Image sei vielschichtig. «Und genau das macht sie interessant.»
Erfolg um jeden Preis
Beyoncé Giselle Knowles kommt am 4. September 1981 in Houston, Texas, zur Welt. Schon als Kind singt und tanzt sie gerne. Die Eltern erkennen ihr Talent, Beyoncé bekommt Tanz- und Gesangsunterricht und singt im örtlichen Kirchenchor mit.
Zusammen mit ihrer Cousine und einer Freundin gründet sie die Gruppe Girl's Tyme. Beyoncés Vater Matthew Knowles managt die Band mit harter Hand und drillt seine Tochter von klein an auf Erfolg, erzählt Sonja Eismann. «Sie musste schon ganz früh mit Mikrofon joggen und 16 Stunden am Tag trainieren, bis sie blutige Zehen hatte.» Doch das harte Training zahlt sich aus.
Die Band gewinnt zahlreiche Wettbewerbe – nur nicht die legendäre Castingshow «Star Search», in den 1990er-Jahren ein Riesending in den USA. Diese frühe Niederlage habe die 11-Jährige nachhaltig geprägt, glaubt Eismann. «Das hat sie angestachelt, in ihrem Leben immer die Beste sein zu wollen.» Sie habe diesen Auftritt von Girl’s Tyme sogar im Song «***Flawless» 2013 gesampelt, «um sich zurückzubesinnen, dass es nicht immer so einfach für sie war», so die Beyoncé-Expertin.
Durchbruch dank Destiny’s Child
Der Traum von einer Karriere als Girl-Group sollte trotzdem wahr werden. Aus Girl’s Tyme wird 1996 Destiny’s Child, eine der erfolgreichsten R&B-Gruppen aller Zeiten, die mit Welthits wie «Survivor» oder «Independent Women» den Sound der frühen 2000er-Jahre prägt.
Beyoncé steht von Beginn an im Fokus der Gruppe. Nachvollziehbar, denn sie hat die vielseitigste Stimme, das beste Aussehen, eine Bühnenpräsenz wie eine Naturgewalt. Auch hinter den Kulissen zieht sie die Fäden, schreibt und produziert viele der Songs.
Als sich die Gruppe auflöst, macht Beyoncé allein weiter. 2003 erscheint mit «Dangerously In Love» das erste Soloalbum der Texanerin – und ihre nicht enden wollende Serie musikalischer Erfolge beginnt. Jedes ihrer acht Alben landet in den Top 10 der internationalen Charts, in den USA sogar auf Platz 1.
Emanzipation vom Mainstream
Während sie auf ihren ersten vier Alben vor allem auf Songs mit Hitpotenzial setzt, ist das fünfte Album «Beyoncé» (2013) ein Wendepunkt für sie als Künstlerin. Sie hat inzwischen ihren Vater als Manager gefeuert und ihren langjährigen Partner und Rap-Mogul Jay-Z geheiratet.
Beyoncé irritiert die Musikszene, indem sie ihre Alben ohne Ankündigung und Promotion herausbringt. Für ihren Erfolg sind immer mehr Menschen verantwortlich, die Sängerin scharrt eine ganze Reihe tonangebender Musikerinnen, Songschreiber und Produzenten um sich – die aber alle hinter der Figur Beyoncé und ihrer Strahlkraft verschwinden.
In ihren verspielten Mainstream-R&B mischen sich experimentelle Klänge, hörspielartige Passagen und Zitate. Mit dem Sample einer Aussage der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie im Song «***Flawles» bekennt sich Beyoncé offen zum Feminismus, sagt Sonja Eismann. «Das hatte eine ganz starke Signalwirkung für Leute weltweit und vielleicht auch für andere Künstlerinnen, die sich dann getraut haben, sich so zu positionieren.»
Beyoncé, die Aktivistin
Queen Bey, wie sie auch genannt wird, nutzt ihre Musik und ihre Auftritte zunehmend für politische und gesellschaftskritische Statements. In Zeiten von «Black Lives Matter» und der Präsidentschaft von Donald Trump trifft Beyoncé damit den Zeitgeist. Schon 2016 in der Pausenshow des Super Bowl präsentiert sie im Black-Panther-Look eine Hommage an den Bürgerrechtler Malcom X.
Im selben Jahr lässt Beyoncé im Videoclip zum Song «Formation» vom Album «Lemonade» ein Polizeiauto im überfluteten New Orleans versinken. Sie übt damit Kritik an einer weissen Staatsmacht, welche die schwarze Bevölkerung nach dem Hurrikan «Katrina» ihrem Schicksal überlässt.
2022 geht Beyoncés musikalische Reise mit «Renaissance» auf dem Dancefloor weiter. Die Musikerin bezieht sich auf die Ballroom Szene, auf Musikgenres wie House, Disco und Bounce und verweist auf die queeren schwarzen Ursprünge der elektronischen Tanzmusik.
Und mit ihrem aktuellen Album «Cowboy Carter» zeigt sie 2024, dass sie jedes Genre für sich nutzen kann, sagt die Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann. Selbst die Countrymusik, die als weissestes Genre überhaupt gilt. «Beyoncé hat sehr eindrucksvoll gezeigt, dass Country mitnichten ein weisses Genre ist, sondern dass es da ganz starke schwarze Traditionen gibt, die vergessen wurden.»
Makelloses Image?
Als schwarze Frau aus den Südstaaten der USA hat sich Beyoncé trotz Sexismus und Rassismus international durchgesetzt. Ihr Einfluss reicht heute weit über den Bereich der Musik hinaus, Beyoncés Rollen sind vielfältig: Sie ist Musikerin, Trendsetterin, Modeikone, Geschäftsfrau, Superreiche, politische Aktivistin, Feministin, Perfektionistin, Workaholic, Schauspielerin, Mutter und Ehefrau. Und man muss neidlos gestehen: All diesen Rollen wird sie scheinbar mühelos gerecht.
Doch die perfekte Fassade bekommt zunehmend Risse: Kulturelle Aneignung und Kommerzialisierung von Subkulturen werden der Musikerin vorgeworfen, auch Ableismus und Ideenklau. Beyoncés Modelabel produziere in Sri Lanka angeblich unter menschenunwürdigen Bedingungen, sagen Kritiker. Und ihr Engagement sei nur eine Vermarktungsstrategie.
Bei näherem Hinsehen bleiben ihre Aussagen vage, auf individuelles Empowerment bezogen, nichts daran ist radikal – und kann es auch nicht sein. Als Popstar ist Beyoncé untrennbar mit dem System verbunden, das sie hervorgebracht hat, sagt Sonja Eismann. Das macht sie nicht über jede Kritik erhaben, aber bringt die Dinge wieder in Relation.
«Das Showbusiness ist ein zutiefst kapitalistisches und patriarchales Business. Das kann Beyoncé nicht umbauen, sie profitiert in gewisser Weise auch davon», sagt Eismann. Trotzdem nehme sie der Sängerin ab, dass diese Anliegen ihr durchaus wichtig seien. «In diesem eng gesteckten Rahmen tut sie, was sie kann.»
Als Superreiche gibt weder sie noch ihr Milliardär-Ehemann Jay-Z eine besonders gute Klassenkämpferin ab. Was kann man stattdessen von ihr erwarten? Beyoncé hat immer wieder die Grenzen von Musik, Kunst und Kultur verschoben. Sie wird ihren Status als eine der vielseitigsten Musikerinnen unserer Zeit weiter festigen und uns überraschen, ist Sonja Eismann überzeugt.
Beyoncé sei immer Beyoncé, aber sie entwickle sich mit jedem Album immer weiter. «Das ist wie eine immer stärkere Reifung. Sie zeigt, was sie noch für ein Ass im Ärmel hat und was sie noch alles kann.»