Die Welt ist längst «crazy in love» mit Beyoncé. Vor 30 Jahren stieg Beyoncé mit Destiny's Child zum R&B-Star auf, seit den Nullerjahren ist sie mit ihrer Solokarriere auf Steigflug. Ihre Idee von Pop wird dabei nie langweilig, da sie immer wieder mit Konventionen bricht und seit «Lemonade» (2016) ihre Alben auch politische Statements sind. So auch ihr neues Album «Cowboy Carter».
Dieses Album ist auch eine Revanche
Beyoncé und Country haben eine Vergangenheit: Die Aufführung ihres Countrysongs «Daddy Lessons» führte 2016 an den US-Country Music Awards zu einem diffamierenden Online-Shitstorm und gipfelte im Ausschluss des Songs aus der Country-Kategorie der Grammys 2016. Dies veranlasste Beyoncé, die afroamerikanischen Wurzeln der Country-Geschichte aufzuarbeiten. Das Resultat heisst «Cowboy Carter», ein dichtes musikalisches Mosaik und ein hoffnungsvoller Überwindungsversuch. Die Grammys 2025 werden es bestimmt nicht mehr behandeln können wie 2016.
«Das ist kein Country, das ist Beyoncé!»
Das Album beginnt mit einer Totenmesse. Und schon mit dem zweiten Track wird wiederauferstanden: Mit einer aufwühlenden Coverversion des Paul McCartney-Klassikers «Blackbird» merkt man, dass Beyoncé lange darauf gewartet hat, der Welt mit ihrem Album zu beweisen, dass Musik nichts mit Hautfarbe, Herkunft oder Heritage zu tun haben sollte. Zudem löst es ein, was sie vor der Veröffentlichung via Social Media angekündigt hat: «Das ist kein Country, das ist Beyoncé!».
Beyoncé schreibt «Jolene» um
Trotz politischen Zwischentönen bereitet das Album sehr viel Spass. Spätestens wenn sich Country-Legenden wie Linda Martell oder Willie Nelson einschalten, um uns als Hosts durchs Album zu führen, fühlt man sich wie in einem gut geschriebenen Hollywood-Film. Und dann folgt Beyoncés Version eines der grössten Countrysongs des letzten Jahrhunderts: «Jolene», anmoderiert von Dolly Parton höchstpersönlich. Beyoncé bleibt dem Original musikalisch treu, schreibt den Text aber um und macht ihn dadurch sogar noch dringlicher. Ein Hochseilakt, der spielend gelingt, wie auch ihr herzvolles Duett mit Miley Cyrus.
Soviel «Hood» steckt im Wilden Westen
In der Mitte des Albums überrascht ein «Outlaw» von einem Song. Ein Trap-Song, der die Country-Idylle nochmals aufbricht: Auf «Spaghettii» wird scharf geschossen, mit Rapper Shaboozey an Beyoncés Seite. So auch später auf «Sweet Honey Buckiin'» nochmals - Songs, die musikalische Country-Klischees durch den digitalen Fleischwolf drehen. Die spannendsten Songs auf «Cowboy Carter» schauen gleichzeitig zurück und nach vorne. Das Doppel-i in den Songtiteln erinnert auch stets daran, dass wir uns im zweiten Teil einer dreiteiligen Saga befinden, die 2022 mit «Act I: Renaissance» begann.
Wohin geht die Reise, Beyoncé?
Es dauert lange, bis sich die Frage aufdrängt, ob Beyoncé auf «Cowboy Carter» den musikalischen Fächer überspannt. Braucht es noch diese verschnittene Flamenco-Gitarre und die obligate Vuvuzela, da ein Bruchstück von Chuck Berry und dort ein Zitat von Patsy Cline? Ja tut es. Weil es hier auch genau darum geht: die unmissverständliche Überladung von Referenzen. Die perfekte Collage, die Vergangenes zerschneidet, den alten Acker umgräbt und Neues heranwachsen lässt. Glaubt man Fan-Spekulationen, wird sie das auch auf dem nächsten Album (Act III) fortsetzen und die Rockgeschichte umpflügen.