- Der Polizeioffizier, der den Einsatz der Sondereinheit «Argus» befohlen hat, ist vom Obergericht wegen Amtsmissbrauchs zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden.
- Ein Polizist, der beim Einsatz in Notwehr auf einen Randalierer schoss, wurde freigesprochen.
- Die Urteile der Berufungsinstanz könnten noch ans Bundesgericht weitergezogen werden.
Der Polizeioffizier hatte am Abend des 25. Mai 2009 in Wohlen AG den Zugriff der Sondereinheit «Argus» angeordnet. Ein gewalttätiger Ehemann randalierte in seiner Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Der damals 30-Jährige war stark betrunken und mit einem Messer bewaffnet. Seine Frau war mit dem Kleinkind aus der Wohnung geflüchtet. Die Frau hatte die Polizei gerufen.
Gemäss Mehrheitsentscheid der drei Oberrichter war der Einsatz der Sonderheit nicht gerechtfertigt gewesen. Der Mann habe sich zwar selbst gefährdet und mit Suizid gedroht, hiess es bei der Urteilsbegründung am späten Mittwochabend. Eine Fremdgefährdung habe jedoch nicht bestanden. Es habe keinen Grund gegeben, nur zwei Stunden nach dem Anruf der Ehefrau bei der Polizei zuzugreifen.
Der 62-jährige Polizeioffizier wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 180 Franken verurteilt. Das Obergericht befand ihn schuldig des Amtsmissbrauchs und des Hausfriedensbruchs. Vom Vorwurf der vorsätzlichen schweren Körperverletzung wurde er freigesprochen.
Freispruch für «Argus»-Polizisten
Ein 35-jähriger Polizist der Sondereinheit, der beim Zugriff in der Wohnung zwei Schüsse auf den Mann abgefeuert hatte, wurde vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung freigesprochen. Das Bezirksgericht Bremgarten hatte den Mann im April 2016 noch wegen schwerer Körperverletzung in einem Notwehrexzess zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.
Die Oberrichter gestanden dem Polizisten zu, dass er die zwei Schüsse in Notwehr abgegeben habe. Der Mann habe den Polizisten beim Erstürmen der Wohnung mit einem Messer auf Kopfhöhe bedroht. Die Schussabgabe sei ein geeignetes Mittel zur Abwehr der Gefahr gewesen. Auch ein Polizist müsse nicht Held spielen.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Es ist davon auszugehen, dass sich wohl noch das Bundesgericht mit dem Fall beschäftigen muss.
Freisprüche gefordert
Der verurteilte Polizeioffizier sagte vor Obergericht, er würde heute in einem gleichen Fall wieder so handeln. Es sei um einen «überraschenden, schnellen Zugriff mit Arretierung» gegangen. Der Mann habe eine grosse Wut und Tobsucht entfaltet. Er habe gedroht sich umzubringen. Es habe auch eine Fremdgefährdung bestanden. Diese konnte er auf Nachfragen der Richter nicht glaubwürdig belegen.
Die beiden Polizisten hatten vor dem Obergericht Freisprüche gefordert. Der Verteidiger des Offiziers sagte, sein Mandant sei «kein gefühlskalter Rambo». Der Mann sei ausgerastet. Es habe eine «zeitliche Dringlichkeit» bestanden, die Gefahren abzuwenden. Der Zugriff der Sondereinheit sei «richtig und sachgerecht» gewesen.
Anklage spricht von «kapitalem Fehler»
Ganz anders stellte der ausserordentliche Staatsanwalt die Sache dar. Der vorschnelle Einsatz der «Argus»-Sondereinheit sei ein «kapitaler Fehler» gewesen. Er warf dem Offizier vor, die Situation nicht vorsichtig genug abgeklärt zu haben. Dieser habe nicht ernsthaft versucht, eine Deeskalation zu erreichen und Verhandlungen mit dem Mann aufzunehmen.
Der «Argus»-Zugriff sei nach nur 90 Minuten erfolgt. Der Einsatz sei jedoch überflüssig gewesen. Es habe keine Fremdgefährdung bestanden. Die Frau und das Kind hätten die Wohnung bereits verlassen. Die Anklage forderte, dass der Polizeioffizier auch wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung verurteilt werde. Dieser sei mitverantwortlich, dass der Mann angeschossen worden sei.
Der Mann verstarb im April 2015. Das Ableben steht laut Anklageschrift in keinem Zusammenhang mit den Schussverletzungen.
Ein Fall mit vielen Wendungen
Der Fall liegt schon mehr als acht Jahre zurück. Die aargauischen Behörden taten sich zunächst schwer mit der Kritik am Polizeieinsatz. Dann wurde die Organisation der Strafverfolgungsbehörden reformiert. Detailfragen während der Strafuntersuchung wurden vor Gericht angefochten.
Im März 2013 setzte der Regierungsrat im zweiten Anlauf einen ausserordentlichen Staatsanwalt zur Untersuchung ein. Dieser verstarb jedoch - und ein neuer Ankläger musste gefunden werden.