Früher war der Fall bei Initiativen und Referenden ziemlich klar: In aller Regel konnte davon ausgegangen werden, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Empfehlung von Regierung und Parlament folgen werden. Dies hat sich in der laufenden Legislatur stark verändert.
Von 14 Behördenvorlagen wurden sechs abgelehnt, was eine «Erfolgsquote» der Referenden von 43 Prozent bedeutet. In den Jahren vorher (2000 – 2019) betrug diese Quote lediglich 26 Prozent.
Häufung der Ablehnung von Behördenvorlagen – ein neues Phänomen?
Wieso folgt das Stimmvolk vermehrt nicht mehr den Empfehlungen aus Bern? Politikwissenschaftler Hans-Peter Schaub sieht den Hauptgrund für die gestiegene Zahl abgelehnter Behördenvorlagen in der Veränderung der Stimmbürgerschaft. Viele Leute seien durch die Pandemie politisiert worden, die vorher nicht regelmässig an Abstimmungen teilgenommen hatten. Diese würden sich ihre Meinung relativ unabhängig von Behörden und Parteien bilden und seien so auch eher bereit, gegen deren Empfehlung zu stimmen.
Schaub relativiert jedoch: Noch immer werde gegen einen nur sehr kleinen Teil der Parlamentsbeschlüsse überhaupt das Referendum ergriffen. Die meisten Beschlüsse kommen gar nie vors Volk. Und schliesslich sei diese Entwicklung, so Schaub, auch nicht neu:
Gab früher auch schon Phasen, wo die Behörden oft verloren haben.
«Das ist nicht das erste Mal in der Abstimmungsgeschichte der Schweiz, wo wir so eine Phase haben. Es gab früher auch schon zwei- oder dreijährige Phasen, wo die Behörden ebenso oft oder sogar noch häufiger verloren haben.»
Problematisch ist nicht unbedingt die Zahl der Ablehnungen, sondern die Komplexität der Vorlagen. Denn grundsätzlich gilt: Je komplexer die Vorlagen, desto schwieriger ist es für Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu verstehen, um was es geht. Und im Zweifelsfall stimmen die Leute dann für den Status quo.
Grundvertrauen bleibt hoch – Parteien bleiben gelassen
Könnte die Häufung der Ablehnung zum Problem für das Funktionieren des schweizerischen politischen Systems werden? Eher nicht, meint Politikwissenschaftler Hans-Peter Schaub: «Grundsätzlich ist das kein Problem. Es gehört eben dazu, dass das Volk bei einzelnen Vorlagen, wenn es mit dem Parlament nicht einverstanden ist, Nein sagen kann. Ein Problem hätten wir dann, wenn dauerhaft keine Reformen zustande kommen.»
Ein Problem hätten wir dann, wenn dauerhaft keine Reformen zustande kommen.
Beispiele für Reformen, mit denen die Behörden seit Jahren zu kämpfen hätten, sind die Altersvorsorge oder die E-ID. Hier könne durchaus von einem Reformstau gesprochen werden. Schlussendlich bleibt das Vertrauen in Bundesrat und Parlament, trotz teils lauter Kritik, intakt. Laut CS Sorgenbarometer sei der Bundesrat auch heute noch ein «Vertrauensfaktor der Schweizer Politik».
Und grundsätzlich, so waren sich auch die Parteispitzen am Abstimmungssonntag einig, sei ein aktives Volk, welches als Korrektiv wirke, eigentlich durchaus positiv. Es brauche eine Instanz, die dem Bundesrat und Parlament ab und zu auf die Finger klopfe.